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Aus wirtschaftspolitischer – genauer: ordnungspolitischer – und finanzwissenschaftlicher Sicht stellen sich bei Aufgaben im Bereich der Inneren Sicherheit grundsätzlich drei Fragen: Wer ist grundsätzlich für eine solche Aufgabe (Schutzleistung) verantwortlich, hat sie also bereitzustellen? Wer soll sie dann durchführen, also herstellen? Und schließlich, wer soll die Kosten tragen? Genauere Informationen zum analytischen Vorgehen – gewissermaßen dem Prüfschema aus volkswirtschaftlicher Perspektive – finden Sie im Text „Volkswirtschaftlich – Erklärung“. Diese Fragen der Bereit- und Herstellung sowie der Finanzierung werden im Folgenden in knapper Form für die Schutzleistung „Vorhalten und Betrieb von Leitstellen“ erörtert.

Hierunter verstehen wir den Betrieb von Notruf- und Serviceleitstellen zwecks Annahme von Notrufen und Bedarfsmeldungen sowie der Disponierung von Einsatzkräften und der Koordinierung und Führungsunterstützung von Einsätzen. Derzeit werden von privaten Dienstleistern in erster Linie Einbruch-, Überfall- und Brand-Meldeanlagen sowie technische Störmeldeanlagen, Video-, Personennotruf- und Aufzugnotrufanlagen in solchen Leitstellen überwacht. „Die Hauptaufgabe [dieser] Notruf- und Service-Leitstelle (NSL) besteht in der Überwachung von Gefahrenmeldeanlagen im weitesten Sinne“ (vgl. Hahn, 2012). Leitstellen für Rettungsdienste werden durch die jeweiligen Rettungsdienstgesetze der Länder geregelt (vgl. BMI, 2019).

Nutznießende dieser Schutzleistung sind bei der Überwachung und Meldungsannahme von technisch aufgeschalteten Meldeanlagen (Fall 1) üblicherweise vor allem die Personen, in deren Wohn- oder Arbeitsräumen sich die Meldeanlage befindet, ferner Besucher dieser Orte. Handelt es sich hingegen um Leitstellen (Fall 2) für die Annahme von unabhängig von Meldeanlagen eingehenden Notrufen (z. B. telefonische Unfallmeldungen) und zur Koordinierung von Einsatzkräften (z. B. Entsendung von Rettungswägen und Notärzten zu Unfallorten), so vergrößert sich der Kreis der Nutznießer auf die gesamte Bevölkerung. Wir betrachten im Folgenden im Kontext des Katastrophenschutzes in erster Linie Fall 2.

Wir betrachten nun die Frage, ob es aus ordnungspolitischer Sicht bei solchen Meldungsannahmestellen und Leitstellen eine Rolle privater Unternehmen geben sollte, und was ggf. zu beachten wäre.

 

Quellen:

Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. (2019). Bevölkerungsschutz. Wer macht was beim Zivil- und Katastrophenschutz? Abgerufen am 4. April 2019 von https://www.bmi.bund.de/DE/themen/bevoelkerungsschutz/zivil-und-katastrophenschutz/gefahrenabwehr-und-katastrophenschutz/gefahrenabwehr-und-katastrophenschutz-node.html;jsessionid=407F0085311460D236BD15C788E73E8D.2_cid295

Hahn, J. (2012). Notruf- und Serviceleitstellen. In R. Stober, H. Olschok, S. Gundel, & M. Buhl (Hrsg.), Managementhandbuch Sicherheitswirtschaft und Unternehmenssicherheit (S. 386-397). Stuttgart: Richard Boorberg Verlag

Nach dem standardisierten Prüfschema betrachten wir hier zwecks Ermittlung der Güter-Art der Schutzleistung zwei Fragestellungen: Liegt Rivalität vor, und liegt Exkludierbarkeit vor? Aus den Antworten auf diese Grundfragen lässt sich ableiten, ob es sich bei der Schutzleistung um ein öffentliches Gut (prototypisches Kollektivgut), um ein privates Gut (Individualgut), oder um einen der „Mischfälle“ Klubkollektivgut oder Allmende-Gut (Quasikollektivgut) handelt.

Besteht nun Verwendungsrivalität im ökonomischen Sinne? Beschneidet also der Betrieb einer Leitstelle die Möglichkeiten anderer potenzieller „Nutzer“ bzgl. dieser Schutzleistung?

Während bei Notruf- und Meldungsannahmestellen des ersten Typs (Fall 1) noch von einer in Grenzen bestehenden Rivalität in der Nutzung ausgegangen werden könnte – nämlich dann, wenn auch die Entsendung von in knapper Anzahl vorgehaltenen Einsatzkräften wie beispielsweise Wartungstechnikern bei Aufzugsstörungen zur Schutzleistung gehört – , so ist dies bei in Rettungswesen und Katastrophenschutz typischen Meldungsannahmestellen und Leitstellen (Fall 2)  nicht der Fall. Es liegt keine Verwendungsrivalität vor.

Liegt also keine Verwendungsrivalität vor, können wir bei Fall 2 die „richtige“ Zuordnung der Schutzleistung in unserem Modell von vier auf zwei Gütertypen verengen. Privates Gut und Allmende- Gut scheiden aus, es bleiben zur Auswahl Öffentliches Gut und Klubkollektivgut. In Fall 1 blieben dagegen Privates und Allmende-Gut, falls doch Rivalität vorläge.

Und besteht Exkludierbarkeit, können also andere potenzielle Nutznießer von der Mitnutzung ausge-schlossen werden? Zur Beantwortung dieser Frage müssen wir die oben angeführten Szenarien unterscheiden, und jeweils die Gruppe der Nutznießer betrachten. In Fall 1 können (abgesehen von Besuchern der geschützten Liegenschaften[1]) potenzielle Nutznießer insofern ausgeschlossen werden, dass die Schutzleistung nur zahlenden Kunden (mit einer entsprechenden Meldeanlage in ihren Liegenschaften) zur Verfügung gestellt wird. Hier besteht Exkludierbarkeit. Anders dagegen sieht es in Fall 2 aus, hier kann kein potenzieller Nutznießer ausgeschlossen werden.

In Fall 1 verengt sich die Auswahl daher auf das private Gut, in Fall 2 auf das öffentliche Gut.

Nun sind zwei Fragen zu beantworten: Wer soll aus ordnungspolitischer Sicht die Bereitstellung übernehmen, wer die Finanzierung?

Bereitstellungsaufgaben (oder auch: Versorgungs-) des Staates sehen Ökonomen grundsätzlich dort, wo beim aktuellen Stand der Technik eine Zuordnung zu „prototypischen und (…) Quasi-Kollektivgüter(n)“ erfolgt, und diese knapp sind (vgl. Grossekettler 1998, S. 8f.).

Im Fall 1 ist eine privat organisierbare Marktfähigkeit vorhanden, mithin sind die Bereitstellungs- und Finanzierungsverantwortung nicht beim Staat anzusiedeln. Hier sind dann die Eigentümer bzw. Betreiber der durch Meldeanlagenmit Aufschaltung zu Notruf- und Leitzentralen geschützten Liegenschaften gefragt. Die Finanzierung hat aufgrund des Gutcharakters aus unserer Sicht auf Basis von Marktpreisen zu erfolgen, was hier konkret die Kauf oder Miete der Meldeanlage sowie Miete der Dienstleistungskomponente der Schutzleistung betrifft.

Im Fall 2 ist die Bereitstellungs- und Finanzierungsverantwortung aufgrund der Charakterisierung als öffentliches Gut beim Staat anzusiedeln, die Finanzierung hat aus Steuermitteln zu erfolgen.

 

[1] Besucher dieser Liegenschaften können ja auch bspw. im Aufzug stecken bleiben, sich während eines Überfalls in einem Kaufhaus oder während der Entstehung eines Brandes in einem Kino befinden.

Quelle:

Grossekettler, H. (1998), Staatsaufgaben aus ökonomischer Sicht, Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Nr. 274.

Bei Leitstellen à la Fall 1 liegt neben der Bereitstellungs- und Finanzierungs-Verantwortung auch die der Herstellung üblicherweise in privaten Händen. Sind allerdings die Nutnießenden solcher Leitstellen staatliche Stellen (etwa ein durch eine aufgeschaltete Einbruchmeldeanlage geschütztes Ministerium), oder handelt es sich um Leitstellen à la Fall 2, so sind zwar staatliche Stellen in der Bereitstellungs- und Finanzierungsverantwortung. Jedoch stellt sich hier die Frage, ob auch die Herstellung (immer) durch staatliche Hersteller und Dienstleister erfolgen sollte.

Grundsätzlich kann gesagt werden, dass die Technik typischerweise durch private Hersteller produziert wird. Meldeanlagen sowie die Technik der Leitstellen werden von spezialisierten Firmen hergestellt. Die Dienstleistung – Betrieb der Leitstellen sowie Koordinierung und Disponierung der Einsatzkräfte – kann möglicherweise zumindest teilweise an private Dienstleister vergeben werden. Dies gilt aus unserer Sicht vor allem dann, wenn der Betrieb der technischen Anlagen speziell geschultes Personal verlangt, und eine besondere Nähe zum Produzenten der Technik notwendig ist.

Etwas anders ist die Situation, wenn bei der Tätigkeit in der Leitstelle hoheitliche Aufgaben des Staates im Kontext der Gefahrenabwehr berührt werden, oder typischerweise nur bei staatlichen Blaulichtorganisationen vorhandene Erfahrung mit bestimmten Einsatzsituationen[1] auch beim Leitstellenpersonal nötig ist. In diesem Fall erscheint aus unserer Sicht entweder eine rein staatliche Herstellung oder aber ein Kooperationsmodell ratsam, bei dem beispielsweise den Betrieb der Technik sowie die Notruf- und Meldungsannahme private Dienstleister wahrnehmen, während die Priorisierung der Einsätze, Entscheidungen zu Ressourceneinsatz und Abstimmung mit anderen gefahrenabwehrenden Stellen weisungsbefugte Staatsbedienstete übernehmen.

Bei den für eine Vergabe infrage kommenden Dienstleistungen könnten Kostenaspekte wie Transformations- und Transaktionskosten bei der Entscheidung bezüglich der Herstellungsverantwortung in diesem Fall eine Rolle spielen. Bedeutsamer erscheinen aus unserer Sicht allerdings Verfahrenspräferenzkosten. Verfahrenspräferenzkosten spielen dann eine Rolle, wenn nennenswerter Machtmissbrauch bei der Erstellung des Produktes – hier der Erbringung der Schutzleistung – möglich ist.

Staatsbedienstete handeln im Rahmen des öffentlichen Rechts grundsätzlich regelorientiert, private Sicherheitskräfte dagegen primär ergebnisorientiert.[2] Die Verringerung der Wahrscheinlichkeit von Machtmissbrauch kann eine kostenaufwendigere, aber regelorientiertere Herstellung rechtfertigen – letztlich ist das eine Präferenzfrage. Beim Betrieb der Leitstellen im Katastrophenschutz spielte die Wahrung des Neutralitätsgebots dann möglicherweise eine Rolle, wenn aus irgendwelchen Gründen diskriminierende Abarbeitung von Notrufen und Disponierung von Einsatzkräften zu erwarten sein könnte. Falls Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die eingesetzten Mitarbeiter unzulässig[3] (also bspw. auf Basis von Rasse, Hautfarbe oder ethnischer Herkunft, Sprache, politischer Ansichten, Weltanschauung, Religion, Behinderung, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Vermögen, oder Alter) diskriminiert werden könnte, könnte dies für den Einsatz behördlichen Personals sprechen. Dies gilt, insofern bei diesem die Wahrscheinlichkeit einer unzulässigen Diskriminierung bspw. aufgrund behördlicher Kontrollprozesse geringer erscheint, und es am Markt private Anbieter zweifelhafter Zuverlässigkeit und Qualitätssicherung gibt.

Falls also beispielsweise eine Überflutung großräumig eine Vielzahl von Menschen und ihr Eigentum bedroht, muss ausgeschlossen sein, dass Einsatzpriorisierung und Kräfteeinsatz anstelle von sachlichen Erwägungen aufgrund von persönlichen Bekanntschaftsbeziehungen geleitet werden.

Probleme aus dem Bereich Marktversagen sind aus unserer Sicht bei der betrachteten Schutzleistung hingegen nicht zu erwarten.


[1] Auch das Personal privater Sicherheitsdienstleister verfügt in der Regel über viel Einsatzerfahrung – gemeint sind hier allerdings Einsatzlagen, die bspw. das Gewaltmonopol berühren oder sich auf mobile oder großräumige Lagen beziehen.

[2] Vgl. Grossekettler 1998, 11.

[3] Vgl. einschlägige Richtlinien der Europäischen Union zur Gleichbehandlung, beispielsweise 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2004/113/EG, und 2006/54/EG.

Quellen:

Grossekettler, H. (1998), Staatsaufgaben aus ökonomischer Sicht, Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Nr. 274.

2004/113/EG Gleichbehandlung von Frauen und Männern außerhalb des Beschäftigungsbereichs

Zusammenfassend wird aus volkswirtschaftlicher Perspektive zur betrachteten Schutzleistung folgendes vorläufiges Fazit gezogen:

Die Bereitstellung sowie die Finanzierung sind bei der Schutzleistung „Vorhalten und Betrieb von Leitstellen“ im Falle der Aufschaltung von Meldeanlagen privater Kunden (Fall 1) auch in privater Verantwortung zu regeln, im Kontext von Gefahrenabwehr und Katastrophenschutz (Fall 2) dagegen in staatlicher.

Im ersten Fall hat auch die Herstellung privat zu erfolgen, allenfalls bei den Einsatz staatlicher Sicherheitsorgane erforderlich machenden Lagen (Einbrecher im Haus, Feuer usw.) ist eine Kooperation mit diesen in Form von Informationsweitergabe notwendig.

Im zweiten Fall hat die Herstellung mindestens unter direkter Mitwirkung staatlicher Kräfte bereits in der Leitstelle zu erfolgen. Teile der Herstellung wie Wartung und Betrieb der Technik sowie Annahme von eingehenden Notrufen und Meldungen können an private Dienstleister vergeben werden, insofern diese bei gleicher Qualität günstiger sind oder aber bei gegebenen Kosten eine höhere Qualität liefern können. Letzteres kann bspw. aufgrund der Ausstattung mit modernerer Leitstellentechnik sowie daran geschulten Kräften, die staatliche Stellen aufgrund eines nur temporären Bedarfs nicht selbst beschaffen bzw. beschäftigen möchten, der Fall sein. Wichtige Nebenbedingung dabei ist, dass Dienstleister aller Wahrscheinlichkeit nach auch in krisenhaften Situationen nicht diskriminierend (oder unzuverlässig[1]) arbeiten oder anderweitig die ihnen übertragene Verantwortung missbräuchlich ausnutzen könnten.

Bei Beteiligung privater Dienstleister an der Herstellung der Schutzleistung kommt es letztlich (bei der Bewertung der Kosten-Kriterien im volkswirtschaftlichen Sinne) auf die Qualität und Vertrauenswürdigkeit der Anbieter im Markt an. Hier spielen also die Rahmenumstände ebenso wie der politische Willensbildungsprozess besondere Rollen.

 

[1] Anm.: Durch Alarmübungen und Stresstests kann und muss ermittelt werden, ob private Dienstleister in Krisensituationen gut genug mit den für die Gefahrenabwehr zuständigen staatlichen Einsatzkräften kooperieren können.