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Dieser Abschnitt stellt Technologien vor, die derzeit oder in absehbarer Zukunft beim Betrieb von Gefängnissen Verwendung finden können sowie mögliche Herausforderungen, die daraus für das eingesetzte Personal resultieren. Das Ziel ist es, mögliche und wahrscheinliche Auswirkungen auf das Angebot von Schutz abzuleiten und zu skizzieren, wie sich Dienstleistungsangebote auf dieser Basis verändern könnten. Abschließend werden einzelne technische Entwicklungen dargestellt und bewertet, die eine wesentliche Neuorientierung im untersuchten Bereich nötig machen könnten.

Der Betrieb von Gefängnissen umfasst eine Vielzahl von Aufgaben, die teilweise nur im weiteren Zusammenhang mit der eigentlichen Sicherheitsdienstleistung betrachtet werden können. Mit einem Kern an staatlichen Aufgaben, sind die privatisierbaren Arbeitsbereiche begrenzt: Neben der Bewachung der Liegenschaften, der Hausverwaltung und der Versorgung (Küche und Krankenstation) gehören hier insbesondere Dienstleistungen im Bildungs- und Betreuungsbereich dazu. Die Perspektive auf technische Entwicklungen in diesem Bereich muss daher verschiedene Zielvorgaben berücksichtigen: Einerseits können Innovationen dazu beitragen, die eigentlichen Kernaufgaben effektiver zu gestalten, um so den Schutzzweck im engeren Sinne bestmöglich zu unterstützen. Andererseits können Technologien dazu beitragen, dass zusätzliche „Rand-Aufgaben“ übernommen werden können und sich damit die Handlungsspielräume der Sicherheitsdienstleister erweitern. Sie dienen dann aber nur mittelbar dem eigentlichen Schutzzweck. Schließlich können neue Innovationen auch die Effizienz der zu tätigenden Leistungen steigern – unabhängig ob sie zur Kernaufgabe gehören oder nicht. Insbesondere im Kontext der nicht zur Kernaufgabe gehörenden Bereiche, die Sicherheitsdienstleister also zusätzlich übernehmen können, stellen sich allerdings grundlegende Fragen nach Geschäfts- und Finanzierungsmodellen.

Mithilfe von miteinander gekoppelten Informationsmedien wie digitalen Anzeigetafeln, Durchsagen und Pagern können Informationen koordiniert und integriert werden. Dies gilt für die Kommunikation der Sicherheitsdienstleister mit Ihrem Personal ebenso wie mit dem staatlichen Wachpersonal oder den Inhaftierten. Auf unterschiedlichen Informationskanälen können Zuwege abgestimmt werden sowie Lauf-, Flucht- und Rettungswege koordiniert werden.[1]

Auch die Wartung und Instandhaltung von Haus- und Sicherheitstechnik zählt zu privatisierbaren Aufgaben im Gefängnis. Entsprechend sind hier mit der immer größeren Verbreitung von Sensorentechnologien (IoT) Veränderungen denkbar: Mit diesen vernetzten Technologien können auch Türen, Schlösser, Rohre oder Zäune veränderte Belastungen oder Verschleißerscheinungen selbst detektieren und melden.

Die Herausforderung in Bezug auf die Infrastruktur besteht darin (a) die von zahlreichen Sensoren erfassten Informationen (teil-)automatisiert zu analysieren (Vorverarbeitung von Datenströmen, Identifikation von definierten „Ereignissen“ in den Datenströmen), und (b) die Einzelinformationen zu einem Bild der Gesamtlage zusammen zu führen. Hardwareseitig geht es dabei in erster Linie um eine sichere und störungsfreie Informationsübertragung. Softwareseitig stehen Analysealgorithmen, Methoden der Datenfusion und Aggregation[2] sowie der Visualisierung des Lagebildes im Vordergrund. Die Gesamtinfrastruktur lässt sich dabei als eine Kombination verteilter Systeme[3] und / oder Dienste[4] ansehen. Bei der Datenanalyse kommen neben regelbasierten Ansätzen zur Identifikation komplexer Ereignisse, z. B. softwarebasierte Produktionsregelsysteme wie Drools[5], auch Methoden aus der künstlichen Intelligenz zum Einsatz (letztere insbesondere bei „unsicheren“ Lagebildern)[6].

Die Bereitstellung von digitalen Angeboten an Inhaftierte ist derzeit beschränkt.[7] Eine Lockerung würde jedoch für den Bereich der pädagogischen Arbeit und schulischen Bildung der Gefangenen erhebliche Veränderungen bedeuten: Die Online-Überwachung, aber auch Online-Therapie[8]– und Bildungsangebote werden notwendig und denkbar.

Gerade in Gefängnissen als geschlossene Infrastrukturen wäre zur Verbesserung und Sicherung des medizinischen Betriebes eine Entwicklung in Richtung Telemedizin denkbar.

 

Quellen:

[1] Willaredt (o. J.)

[2] Laudy, Claire, Henrik Petersson, and Kurt Sandkuhl. „Architecture of knowledge fusion within an Integrated Mobile Security Kit.“ 2010 13th International Conference on Information Fusion. IEEE, 2010.

[3] Varshney, Pramod K. Distributed detection and data fusion. Springer Science & Business Media, 2012.

[4] E. U. Kriegel, S. Pfennigschmidt and H. G. Ziegler, „Practical aspects of the use of a Knowledge Fusion Toolkit in safety applications,“ 2013 IEEE Eleventh International Symposium on Autonomous Decentralized Systems (ISADS), Mexico City, Mexico, 2013, pp. 1-4. doi: 10.1109/ISADS.2013.6513439

[5] Proctor, Mark. „Drools: a rule engine for complex event processing.“ Proceedings of the 4th international conference on Applications of Graph Transformations with Industrial Relevance. Springer-Verlag, 2011.

[6] Artikis, Alexander, et al. „Event processing under uncertainty.“ Proceedings of the 6th ACM International Conference on Distributed Event-Based Systems. ACM, 2012.

[7] https://www.fokus.fraunhofer.de/7872a2f88087cec0

[8] Z. B.: https://www.zeit.de/karriere/2016-11/psychologische-online-beratung-ausland-vorteile-termin

Bei der Überwachung sind verschiedene Bereiche zu unterscheiden: die physische Zutrittskontrolle, die Identitätskontrolle sowie die Überwachung des Geländes (inkl. der direkten Umgebung). Sowohl die physische Zutrittskontrolle als auch die Identitätskontrolle in Gefängnissen sind hoheitliche Aufgaben des Staates und bleiben hier daher weitgehend unbeachtet.[1]

Für die Überwachung der Gefängnisbereiche vor unerlaubtem Eindringen und Verlassen ist insbesondere eine Entwicklung in Richtung Videoüberwachung und Sensorik zu erwarten: Identifikation von Bewegungen im geschützten Bereich z. B. mit Hilfe von Infrarotsensoren und Lichtschranken oder mit Hilfe von „Smart Dust“, Identifikation des Durchbrechens von Barrieren wie z. B. Zäunen mit Hilfe von Erschütterungs- und Vibrationssensoren. Im Außenbereich besteht zudem zunehmend eine Gefahr durch kleine Flugobjekte wie z. B. nicht autorisierte Drohnen. Grundsätzlich stehen hierbei aktive Lösungen zur Verfügung, bei der der zu überwachende Bereich mit Hilfe von Radar oder Videoüberwachung gescannt wird, sowie passive Lösungen, die zum Beispiel auf eine akustische Detektion der Drohne oder auf die Detektion ausgestrahlter Funksignale (Downlink) abzielen.[2] Derzeit werden insbesondere Ansätze diskutiert, die im Millimeterwellenbereich, also im Bereich der 5G-Telekommunikationsfrequenzen operieren (und diese z. T. gezielt nutzen), um auch kleine Flugobjekte zuverlässig zu identifizieren.[3]

Daneben kann auch die Detektion auffälligen Verhaltens und gefährlicher Gegenstände relevant werden. Bezogen auf ersteres lassen sich mit bildgebenden Verfahren bereits jetzt bestimmte Arten von auffälligem Verhalten identifizieren: Bewegungslosigkeit / Stürze, ungewöhnliche Gehrichtung und Gehgeschwindigkeit von Einzelpersonen.[4] Mit einer entsprechenden technischen Weiterentwicklung kann auch Letzteres, z. B. die die Lagerung und der Handel von Drogen (als unbewegliche Objekte), mit entsprechenden Scanntechniken weiter erschwert werden. Zur Auffindung von gefährlichen oder verbotenen Gegenständen / Substanzen werden intelligente, mobile und schnelle Detektionstechnologien, denen sich eine Reihe von Forschungsprojekten in den letzten Jahren gewidmet haben, an Relevanz gewinnen, z. B. auf Basis von spektroskopischer Sensorik, Fluoreszenzanalysen und olfaktorische Detektoren (künstlicher Hund).[5]

 

Quellen:

[1] Technische Ideen diesbezüglich sind jedoch im Bezug auf Großveranstaltungen und Flüchtlingsunterkünfte auch Thema des Infoportals Sicherheitsdienstleistungen.

[2] M. M. Azari, H. Sallouha, A. Chiumento, S. Rajendran, E. Vinogradov and S. Pollin, „Key Technologies and System Trade-offs for Detection and Localization of Amateur Drones,“ in IEEE Communications Magazine, vol. 56, no. 1, pp. 51-57, Jan. 2018. doi: 10.1109/MCOM.2017.1700442

[3] D. Solomitckii, M. Gapeyenko, V. Semkin, S. Andreev and Y. Koucheryavy, „Technologies for Efficient Amateur Drone Detection in 5G Millimeter-Wave Cellular Infrastructure,“ in IEEE Communications Magazine, vol. 56, no. 1, pp. 43-50, Jan. 2018. doi: 10.1109/MCOM.2017.1700450

[4] Popoola, Oluwatoyin P., and Kejun Wang. „Video-based abnormal human behavior recognition—A review.“ IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Part C (Applications and Reviews) 42.6 (2012): 865-878.

[5] Beispiele: Projekt HANDHold (https://cordis.europa.eu/project/rcn/102760/factsheet/en, abgerufen 09. Mai 2019); Projekt CUSTOM (https://cordis.europa.eu/project/rcn/94695/factsheet/en, abgerufen am 09. Mai 2019); Projekt SNIFFER (https://cordis.europa.eu/project/rcn/102348/en, abgerufen am 09. Mai 2019)

Die Randaufgaben in einem Gefängnis, Wäsche- und Essensausgabe oder der Betrieb der Bibliothek sind einerseits privatisierbar, andererseits auch sehr gut technisch mit mobilen und vernetzten Lösungen umgestaltbar. So wären Wäscheautomaten, wie sie in Krankenhäusern bereits im Einsatz sind[1], auch in Gefängnissen denkbar. Auch im Bildungs- und Resozialisierungsbereich werden erste Projekte mit digitalen Anwendungen durchgeführt.[2] Allerdings sind insbesondere bei digitalen Geräten zur Interaktion mit Inhaftierten, Fragen von Manipulation, Diebstahl und Sabotage grundsätzlich virulent.

 

Quellen:

Bei der Frage nach dem passenden Ausrüstungsmaterial steht einerseits die Umsetzung des Schutzzwecks im Fokus und andererseits der Schutz der Sicherheitsdienstleister selbst bei ihrer Tätigkeit.

Inwieweit die Anschaffungen von physischen Sicherungen der Liegenschaft und der Eingangs- und Kontrollbereiche sowie Anschaffungen für feuerfeste Scheiben (Sicherheitsglas), Beschilderung und Fluchtwege, Löschapparaturen und Notstrom / Notschalter / Alarmknöpfe etc. im Aufgabenbereich der Eigentümer, Betreiber oder Sicherheitsdienstleister liegen, muss an anderer Stelle geklärt werden. Wichtig ist hervorzuheben, dass insbesondere vernetzte Technologien (z. B. aus dem SmartHome-Umfeld) neue Möglichkeiten der Interaktion bieten. So kann vernetzte Sensor-Aktor-Technologie automatische Warn- und Sicherheitsmechanismen (Fenster und Türen schließen, Belüftung abschalten bei Rauchentwicklung) aktivieren und auf digitalen Infostelen für die Bewohner die nötigen Informationen im Gefahrenfall bereitstellen.

Eine weitergehende Integration des Personals in die Vernetzung könnte sich zukünftig über Bodycams (Pervasive Wearables, smarte Brillen)[1] entwickeln, die nicht nur der Sicherheit und Steuerung der Personen dient, sondern auch die (gesetzlich geforderte) Dokumentationen von Einsätzen unterstützt.[2] Hier könnten allerdings Datenschutzregeln limitierend wirken (Filmen in Zellen als Wohnumgebung etc.). Ergänzend kann bei besonders beanspruchenden Tätigkeiten ein integriertes Psychomonitoring mit ggf. begleitender psychologischer Betreuung sinnvoll sein. Regelmäßige e-Trainings über Virtual Reality (VR)- oder Augmented Reality (AR)-Werkzeuge können hierbei eine wichtige prophylaktische als auch nachträgliche Ergänzung sein und können z. B. mit Übersetzungsfunktionalitäten (babelfish etc.) ergänzt werden. Mit ihnen können Gefahrensituationen simuliert (VR) oder inhaltlich begleitet (AR) werden. Sowohl Psychomonitoring als auch e-Trainings können über das Arbeitsequipment direkt mit der Tätigkeit rückgekoppelt werden, etwa durch spezielle Apps auf dem Diensthandy oder über Wearables und smarte Brillen.

Ähnliche personalisierte Überwachung mithilfe von Wearables – zum Beispiel Puls- oder Trackarmbänder bzw. Fußfesseln sind langfristig auch zum Einsatz bei Insassen denkbar. Grundsätzlich müssen bei allen Technologien für die Insassen besondere Ansprüche an die Manipulations- und Aufbruchssicherheit gestellt werden.

 

Quellen:

[1] Vgl. Carmen Molitor: „Martin Krzywdzinski: Bei den Wearables geht es noch ums Ausprobieren“; in: Magazin Mitbestimmung (https://www.magazin-mitbestimmung.de/artikel/Martin+Krzywdzinski%3A+„Bei+den+Wearables+geht+es+noch+ums+Ausprobieren“@7295?issue=7294; abgerufen am 09. Mai 2019)

Vernetzte Technologien haben das Potenzial, den Betrieb von Gefängnissen zentral und integriert zu unterstützen. Von der Steuerung der Gebäude- und Schließtechnik, über die Lageerkennung und Auswertung bis hin zur Aktivierung von Sicherheitsprozessen in kritischen Situationen können vernetzte Technologien einen hohen Grad an Automatisierung ermöglichen. Allerdings sind Grenzen sowohl im Kosteneinsatz als auch in der Resilienz der Technologien – auch gegen Angriffe durch die Insassen – kritisch zu sehen und lassen einen baldigen großflächigen Einsatz fraglich erscheinen.

Ohne verfassungsrechtliche Änderungen können im Wesentlichen drei Arten von Aufgaben durch Externe übernommen werden:  Maßnahmen der Gelände- und Infrastrukturüberwachung;  soziale und pädagogische Aufgaben sowie Facility-Aufgaben.

In den Bereichen der Überwachung und der Wartungs- bzw. Infrastrukturdienstleistungen sind für die Sicherheitsindustrie relevante technische Entwicklungen denkbar. Insbesondere Sensortechnologien scheinen hier relevant, zum Beispiel für Systeme zur frühzeitigen Erkennung von Fehlentwicklungen oder -funktionen, aber auch als sich immer stärker durchsetztender Teil multimodaler Überwachungssysteme. Daneben sind – bei entsprechendem Manipulationsschutz – auch (semi-)autimatisierte Lösungen, wie Reinigungsautomaten oder Überwachungsdrohnen denkbar.

Da die Organisationshoheit bei der derzeitigen rechtlichen Lage in staatlicher Hand verbleiben soll, sind neuere Entwicklungen bei Leitstellen und Kommunikationsinfrastrukturen im Bereich des Gefängnisses derzeit für die Sicherheitsangestellten weniger von Bedeutung.