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Grundsätzlich obliegt die Entscheidung darüber, in welcher staatlichen oder privaten Organisationsform Schutzleistungen erbracht werden sollen, dem politisch-demokratischen Prozess, wobei (verfassungs-)rechtliche Vorgaben den grundlegenden Rahmen setzen. Die Politik- und Verwaltungswissenschaft kann diesbezüglich keine aktiv-gestaltende Rolle einnehmen, sie kann jedoch als Reflexionsinstanz zur Klärung möglicher Entscheidungskriterien beitragen. Dazu wird ein Entscheidungsrahmen eingeführt, der sowohl effektivitäts-, effizienz-, als auch legitimitätsbezogene Zielgrößen berücksichtigt. In diesem Rahmen wird auf drei Einzelkriterien Bezug genommen: (1) Strategische Relevanz, (2) Spezifität, (3) Legitimität.

Das Kriterium der strategischen Relevanz berücksichtigt die Bedeutung einer Aufgabe für die Erreichung politisch gesetzter Ziele. Insbesondere bei strategisch relevanten Aufgaben muss garantiert sein, dass deren Erbringung gewährleistet und durch den Staat kontrollierbar ist. Damit steht die Steuer- und Regulierbarkeit der Schutzleistung auf dem Prüfstand.

Flüchtlingsunterkünfte sind hochsensible Infrastrukturen: Sie sind zum einen Zielscheibe rechtsextremer Gewalt und zum anderen Orte, an denen verschiedene Kulturen und Religionen, Nationalitäten und Lebensgewohnheiten auf sehr engem Raum und unter schwierigsten sozialen Umständen aufeinandertreffen. Konflikte sind damit gewissermaßen vorprogrammiert. So kommt es häufig zu Gewalttätigkeiten unter den Flüchtlingen sowie gegenüber dem Betreuungs- und Sicherheitspersonal (VBG, 2018, S. 2). Zugleich hat sich in jüngster Vergangenheit auf allen politischen Ebenen eine flüchtlings- bzw. asylpolitische Debatte entwickelt, in der die Unterbringung und der Schutz von Flüchtlingen öffentlich diskutiert wird. Beim Schutz von Flüchtlingsunterkünften handelt sich damit um eine Schutzleistung von aktuell außerordentlich hoher politischer Salienz und mit weitreichenden politischen Implikationen. Auch weil es sich beim Schutzgut im Kern um die Durchsetzung des Asylrechts als einem im Grundgesetz verankerten Grundrecht handelt, ist dieser Schutzleistung eine hohe strategische Relevanz beizumessen.

Damit steht zugleich deren Steuer- und Kontrollierbarkeit auf dem Prüfstand. Dies gilt umso mehr, als sich der Staat in Anbetracht der zeitweilig rasant gestiegenen Flüchtlingszahlen in den Jahren 2015/2016 gegenwärtig gezwungen sieht, für den Schutz von Flüchtlingsunterkünften auf private Betreiber und private Sicherheitsdienstleister zurückzugreifen. Während die verantwortlichen Aufsichtsbehörden und öffentlichen Entscheidungsträger selbst gegenüber legislativen Kontrollinstrumenten rechenschaftspflichtig sind, sind private Sicherheitsunternehmen grundsätzlich nur dem privaten Recht unterworfen. Diese sind zwar auch an Recht und Gesetz gebunden, darüber hinaus jedoch allein vertraglichen Regelungen gegenüber verpflichtet. Angesichts der Vielzahl und des Ausmaßes öffentllich bekanntgewordener Verfehlungen seitens einzelner Sicherheitsdienste (siehe beispielhaft Dörries & Ritzer, 12. Oktober 2014; Fischer, 14. Mai 2017;  Fründt, 31. August 2015; Petersen 27. November 2015) ist in diesem Zusammenhang von behördlicher Seite auf eine strenge Regulierung und von unternehmerischer Seite auf größtmögliche Eigenkontrolle und Transparenz Wert zu legen. Ersteres betrifft insbesondere eine qualitätsbezogene Auswahl des Dienstleisters sowie dessen sorgsame Leistungskontrolle im Rahmen eines effektiven Vertragsmanagements. Letzteres bezieht sich insbesondere auf die Auswahl und Qualifikation des eigenen Personals. Im Fall eines privaten Unterkunftsbetreibers, der seinerseits einen Sicherheitsdienst beauftragt, sollte von behördlicher Seite vorab ein entsprechendes Sicherheitskonzept inklusive Standards für dessen Auswahl formuliert bzw. eingefordert werden. Weil der Schutz von Flüchtlingsunterkünften per se nicht mit einer Übertragung hoheitlicher Rechte (Beleihung) auf private Sicherheitskräfte einhergeht, sondern sich im Rahmen einer Verwaltungshilfe vollzieht, gelten gleichwohl abgeminderte Maßstäbe an die demokratische Kontrolle und Rechenschaftspflicht. Bei allen legitimen Geheimhaltungsansprüchen ist jedoch dem öffentlichen Informationsanspruch von Seiten des Auftraggebers unbedingt Rechnung zu tragen. Überhaupt ist zu beachten, dass jeder weitere an der Sicherung von Flüchtlingsunterkünften beteiligte Akteur die Legitimationskette verlängert und folglich von Behördenseite überprüft werden sollte.

Quellen: 

Dörries, B. & Ritzer, U. (12. Oktober 2014). Nach Übergriffen im Flüchtlingsheim: Brutaler Wachmann erhält gutes Führungszeugnis. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.sueddeutsche.de/bayern/nach-uebergriffen-im-fluechtlingsheim-brutaler-wachmann-erhaelt-gutes-fuehrungszeugnis-1.2168041.

Fischer, J. (14. Mai 2017). Flüchtlingsheime: Wenn Security-Leute Angst verbreiten. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.sueddeutsche.de/leben/fluechtlingsunterkuenfte-wenn-security-leute-angst-verbreiten-1.3499799.

Fründt, S. (31. August 2015). Wenn die Security zum Problem wird. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.welt.de/wirtschaft/article145799251/Wenn-die-Security-zum-Sicherheitsproblem-wird.html.

Petersen, L. (27. November 2015). Nach Nazi-Hetze im Lageso: Gegenbauers Security-Firma wirft hin. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/nach-nazi-hetze-im-lageso-gegenbauers-security-firma-wirft-hin. 

VBG – Verwaltungs-Berufsgenossenschaft. (2018). VBG-Securityreport 2018. Analyse des Unfallgeschehens in der Branche „Sicherungsdienstleistungen. Hamburg: Jedermann-Verlag GmbH

Mit dem Prüfkriterium der Spezifität wird ein Maß für die Einzigartigkeit des mit einer Aufgabenerfüllung verbundenen Mitteleinsatzes eingeführt. Dies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die den Einsatz spezialisierter Technologien oder Anlagen, spezifische Ausstattungen, Qualifikationen, Verfahrensregeln und Kompetenzen betreffen und als Auslagerungshürden gelten.

Grundsätzlich ergibt sich der konkrete Verantwortungs- und Aufgabenzuschnitt der eingesetzten privaten Sicherheitskräfte aus dem Sicherheitskonzept des Betreibers bzw. der zuständigen Aufsichtsbehörde. Generell sind Sicherheitsdienste jedoch verantwortlich für den Objektschutz, für die Durchsetzung der Hausordnung sowie für den Schutz von Leib und Leben von Bewohnern und Betreuungspersonal. Daraus ergeben sich vielfältige Aufgaben wie etwa die Durchführung von Zugangskontrollen, die Überwachung der Alarmsysteme und des Brandschutzes sowie Maßnahmen der Deeskalation auftretender Konflikte zwischen Bewohnern bzw. zwischen Bewohnern und Betreuungs- und Sicherheitspersonal. Sicherheitskräfte, die zum Schutz der Heime und ihrer Bewohner eingesetzt werden, geraten oftmals selbst direkt in Gefahr und werden Opfer von Konfrontationsunfällen. Ein derart sensibles, konfliktreiches Tätigkeitsfeld verlangt ein hohes Qualifizierungsniveau des Sicherheitspersonals, um sowohl die Eigensicherung als auch die Fremdsicherung der Unterkunftsbewohner zu gewährleisten. Sofern privates Sicherheitspersonal von einem öffentlichen Betreiber einer Unterkunft beauftragt wird, wird es im Rahmen des Auftrags als Verwaltungshilfe eingesetzt. Die Ausübung hoheitlicher Befugnisse steht ihnen daher nicht zu. Gravierende Zwischenfälle sind daher oftmals nicht ohne Hinzuziehung polizeilicher Kräfte zu lösen. An dieser Stelle zeigen sich die Grenzen des Einsatzes privater Kräfte. Umso stärker ist zu beachten, dass für diese Sicherheitsdienstleistungen daher ausschließlich solche Unternehmen beauftragt werden sollten, deren Personal über entsprechende Sonderqualifizierungen verfügt (z. B. Deeskalationstraining, interkulturelle Kompetenzen) sowie zugleich aufgabenspezifische Erfahrungen vorweisen kann.

Insofern sich die Schutzleistung zwar mehrheitlich durch eine hohe Spezifität auszeichnet, einzelne Teilleistungen jedoch von eher geringer Spezifität gekennzeichnet sind, sind hier gegebenenfalls auch verschiedene Kooperationsmodelle denkbar, die eine enge Arbeitsteilung von polizeilichen und privaten Sicherheitskräften vorsehen.

Mit dem Prüfkriterium der Legitimität wird der politikwissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, dass staatliches Handeln und Entscheiden nicht allein an den Maßstäben von Effektivität und Effizienz bemessen werden sollte, sondern auch an der faktischen Akzeptanz.

Die Flüchtlingsthematik und so auch die Frage nach deren Unterbringung in Unterkünften erfährt gegenwärtig eine sehr große mediale Aufmerksamkeit. Gewalttaten gegen Flüchtlinge, aber auch die Gewalt innerhalb der Einrichtungen beherrschen die Schlagzeilen und rücken deren Schutz in den Fokus der Öffentlichkeit. Der Einsatz privater Sicherheitsdienste wird in diesem Zusammenhang sowohl von Medien, Politik als auch Nichtregierungsorganisationen (z. B. Sozialverbänden) immer wieder in Frage gestellt und skandalisiert (Deutschlandfunk 2016; Fründt, 31. August 2015). Wiederholte Berichte über Kompetenzüberschreitungen und Übergriffe von Sicherheitskräften, deren Verstrickungen in die organisierte Kriminalität oder deren rechtsextreme Gesinnung werden zum Anlass genommen, die Frage der Qualifikation sowie der Zuverlässigkeit aufzuwerfen und bisweilen die Legitimität der gesamten Branche infrage zu stellen (siehe etwa Fischer, 14. Mai 2014; Emonts, 21. Mai 2017; Petersen, 27. November 2015). Es werden dabei die noch immer vergleichsweise niedrigen Zugangsvoraussetzungen zur Anmeldung eines Sicherheitsgewerbes bemängelt und höhere Zugangshürden für Sicherheitsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter eingefordert. All dies macht deutlich, dass es sich beim Schutz von Flüchtlingsunterkünften und dem diesbezüglichen Einsatz privater Sicherheitsdienstleister um ein politisch hochsensibles Thema handelt, das einer starken öffentlichen Wahrnehmung unterliegt. Dies ist bei der Beurteilung der Frage, ob und insbesondere welche Sicherheitsdienstleister eingesetzt werden sollten, zwingend mit zu beachten.

Quellen:

Deutschlandfunk (2016). Kritiker fordern stärkere Kontrolle von Sicherheitsdiensten. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.deutschlandfunk.de/vorwuerfe-gegen-wachdienst-kritiker-fordern-staerkere.2852.de.html?dram:article_id=346108.

Emonts, B. (21. Mai 2017). Dachau: Landratsamt beschäftigt unwissentlich zwei Kriminelle. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.sueddeutsche.de/muenchen/dachau/kriminelle-wachmaenner-wie-der-bock-zum-gaertner-wird-1.3514041 

Fischer, J. (14. Mai 2017). Flüchtlingsheime: Wenn Security-Leute Angst verbreiten. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.sueddeutsche.de/leben/fluechtlingsunterkuenfte-wenn-security-leute-angst-verbreiten-1.3499799.

Fründt, S. (31. August 2015). Wenn die Security zum Problem wird. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.welt.de/wirtschaft/article145799251/Wenn-die-Security-zum-Sicherheitsproblem-wird.html.

Petersen, L. (27. November 2015). Nach Nazi-Hetze im Lageso: Gegenbauers Security-Firma wirft hin. Abgerufen am 09.10.2019 von https://www.bz-berlin.de/berlin/mitte/nach-nazi-hetze-im-lageso-gegenbauers-security-firma-wirft-hin. 

Beim Schutz von Flüchtlingsunterkünften handelt es sich um eine Schutzleistung von insgesamt  hoher strategischer Relevanz sowie einer Spezifität, die je nach Teilaufgabe von gering (einfache Objektschutzaufgaben) bis hoch (Umgang mit Bewohnern) reicht. Der Staat trägt damit sehr wohl  zwar die Gewährleistungsverantwortung, kann die Erfüllungsverantwortung jedoch in weiten Teilen privaten Sicherheitsdienstleistern übertragen. Der Gewährleistungsverantwortung muss er in diesem Fall jedoch durch eine eine qualitäts- und zuverlässigkeitsbezogene Auftragsvergabe und strenge Kontrolle gerecht werden. Unter dieser Bedingung ist eine Kooperation  von polizeilichen und privaten Sicherheitskräften fruchtbar, zielführend und seitens der Öffentlichkeit akzeptiert.