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Grundsätzlich obliegt die Entscheidung darüber, in welcher staatlichen oder privaten Organisationsform Schutzleistungen erbracht werden sollen, dem politisch-demokratischen Prozess, wobei (verfassungs-)rechtliche Vorgaben den grundlegenden Rahmen setzen. Die Politik- und Verwaltungswissenschaft kann diesbezüglich keine aktiv-gestaltende Rolle einnehmen, sie kann jedoch als Reflexionsinstanz zur Klärung möglicher Entscheidungskriterien beitragen. Dazu wird ein Entscheidungsrahmen eingeführt, der sowohl effektivitäts-, effizienz-, als auch legitimitätsbezogene Zielgrößen berücksichtigt. In diesem Rahmen wird auf drei Einzelkriterien Bezug genommen: (1) Strategische Relevanz, (2) Spezifität, (3) Legitimität.

Das Kriterium der strategischen Relevanz berücksichtigt die Bedeutung einer Aufgabe für die Erreichung politisch gesetzter Ziele. Insbesondere bei strategisch relevanten Aufgaben muss garantiert sein, dass deren Erbringung gewährleistet und durch den Staat kontrollierbar ist. Damit steht die Steuer- und Regulierbarkeit der Schutzleistung auf dem Prüfstand.

Der Vorbehaltsbereich des Staates umfasst die Ausübung des Gewaltmonopols im Inneren. Weil der Strafvollzug in Gefängnissen unmittelbar auf (legitimen) Grundrechtseingriffen basiert, zählt er seit jeher zum Kernbestand öffentlicher Aufgaben, für die der Staat die Verantwortung trägt und deren Erfüllung er gewährleisten muss. Nicht nur, dass der Staat aufgrund der hohen strategischen Relevanz dieser Schutzleistung eine besondere Gewährleistungs- und Letztverantwortung trägt, auch obliegt ihm damit im Sinne des Funktionsvorbehalts (Art. 33 IV GG) in sehr weiten Teilen zugleich die Erfüllungsverantwortung. Das Agieren von Justizvollzugsbeamten, die in einem Dienst- und Treueverhältnis zum Staat stehen, unterliegt im Rahmen der demokratischen Kontroll- und Legitimationskette der Aufsicht durch staatliche Behörden und demokratische Gremien und ist damit formell einer rechtlichen Überprüfbarkeit unterworfen.

Auch wenn eine Privatisierung von Gefängnissen unter Umständen Kosteneinsparungen in Aussicht stellt und Effektivitätsgewinne verspricht, sind einer (partiellen) Auslagerung des Strafvollzugs an private Unternehmen damit sehr enge rechtliche Grenzen gesetzt. Hinzu kommt, dass im Fall von strategisch hochrelevanten Aufgaben insbesondere die staatliche Steuerungsfähigkeit gewährleistet sein muss. Damit steht außer Frage, dass die Organisationshoheit sowie die Kernfunktionen des Strafvollzugs in Erfüllungsverantwortung des staatlichen Hoheitsträgers verbleiben sollten. Sofern einzelne nachrangige Dienst- bzw. Serviceleistungen im Bereich des Strafvollzugs im Rahmen der Verwaltungshilfe an private Unternehmen bzw. deren Bedienstete übertragen werden, müssen weitreichende Aufsichts- und Regulierungsinstrumente installiert werden, welche die staatliche Steuerungsfähigkeit sicherstellen. Die graduelle Abgabe von Gestaltungskompetenz wäre zudem durch eine sorgfältige Auswahl des Partners und ein strategisches Vertragsmanagement zu kompensieren (Edel & Grueb, 2010). Sofern über diese Maßnahmen garantiert ist, dass die Sachherrschaft in Händen des Staates verbleibt und keine Abhängigkeit von einzelnen privaten Dienstleistern entsteht, scheint die Gemeinwohlorientierung nicht gefährdet (Stienen, 2011, S. 253).

 

Quellen:

Edel, F. & Grüb, B. (2010). Public-Private Partnership im Bereich der Justizvollzugsanstalten. Verwaltung und Management, 16 (1), 42-50.

Stienen, L. (2011). Privatisierung und Entstaatlichung der inneren Sicherheit. Erscheinungsformen, Prozesse und Entwicklungstendenzen. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.

Mit dem Prüfkriterium der Spezifität wird ein Maß für die Einzigartigkeit des mit einer Aufgabenerfüllung verbundenen Mitteleinsatzes eingeführt. Dies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die den Einsatz spezialisierter Technologien oder Anlagen, spezifische Ausstattungen, Qualifikationen, Verfahrensregeln und Kompetenzen betreffen und als Auslagerungshürden gelten.

Eine vollständige Organisationsprivatisierung von Gefängnissen und damit eine Privatisierung des Strafvollzugs ist nach § 139 des derzeitigen Strafvollzugsgesetzes ausgeschlossen. Gleichwohl sind spezifische Aufgabenprivatisierungen im Strafvollzug möglich. Dies lenkt den Blick auf die verschiedenen Teilaufgaben innerhalb der Vollzugsanstalten. Diese unterscheiden sich hinsichtlich ihres Spezifitätsgrades zum Teil deutlich voneinander, wodurch de jure gewisse Spielräume für den Einsatz privater Sicherheitsakteure entstehen. Dementsprechend gibt es de facto in einigen Justizvollzugsanstalten eine große Bandbreite an unterschiedlichen Varianten der Verantwortungs- und Arbeitsteilung zwischen staatlichen Sicherheitsbehörden und privaten Sicherheitsunternehmen. Grundsätzlich gilt hierbei, dass diejenigen Kernaufgabenbereiche des Strafvollzugs, die hochspezifische Tätigkeiten und Kompetenzen voraussetzen, also etwa hoheitsrechtliche Befugnisse verlangen, den Justizvollzugsbeamten vorbehalten sind (Funktionsvorbehalt nach Art. 33/IV GG). Dies gilt insbesondere für Bewachung und Einschluss der Häftlinge und die damit einhergehende Durchsetzung repressiver Vollzugsmaßnahmen (vgl. Stienen 2011, 227f.). Die Präsenz von Hoheitsträgern ist damit überall dort erforderlich, wo die Anwendung unmittelbaren Zwangs konkret im Raum steht. Nachrangige Vollzugsaufgaben hingegen, die nur mittelbar der Verwirklichung des staatlichen Strafanspruchs dienen, keine unmittelbare Grundrechtsrelevanz aufweisen und keine spezielle Behandlungskompetenz voraussetzen, können unter besonderen Umständen (Wirtschaftlichkeit, Personalmangel etc.) an private Dienstleister ausgelagert werden (Stober et al., 2004, S. 753; Jungk, 2002, S. 155). Mit Blick auf diese Aufgabenteilung von hochspezifischen und weniger spezifischen Tätigkeiten sind in einigen Bundesländern teilprivatisierte Justizvollzugsanstalten mit Pilotcharakter entstanden, in denen bestimmte Aufgabenbereiche – von der Hausverwaltung über die Versorgung bis hin zu den sozialen Diensten, den Arbeitswerkstätten und eng definierten Teilen der Bewachung – von privater Hand übernommen werden. Private Bedienstete werden hierbei als Verwaltungshelfer eingesetzt und sind damit weisungsgebunden. Wenngleich selbst dieser begrenzte Einsatz von privaten Verwaltungshelfern mitunter als verfassungsrechtlich bedenklich eingestuft wird, weil auch hierbei situativ Eingriffsmaßnahmen unmittelbar notwendig sein können (vgl. Kruis, 2000, S. 4f.), lautet der Tenor, dass eine Auslagerung dieser nachrangigen Aufgaben an private Unternehmen grundsätzlich sowohl mit dem Funktionsvorbehalt vereinbar ist, als auch mit dem Demokratie- und Sozialstaatsprinzip (Stienen, 2011, 236).

 

Quellen: 

Jungk, F. (2002). Police Private Partnership. Eine Untersuchung anhand verschiedener Modelle. Köln u.a.: Heymann.

Kruis, K. (2000). Haftvollzug als Staatsaufgabe. Zeitschrift für Rechtspolitik, 33 Jg., 1-32.

Stienen, L. (2011). Privatisierung und Entstaatlichung der inneren Sicherheit. Erscheinungsformen, Prozesse und Entwicklungstendenzen. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.

Stober, R. (Hrsg.) 2004. Sicherheitsqualität durch Sicherheitsqualifikation – Neue Qualitätsentwicklungen im Sicherheitsgewerbe – Ergebnisse des 4. Hamburger Sicherheitsgewerberechtstages, Köln: Heymann.

Mit dem Prüfkriterium der Legitimität wird der politikwissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, dass staatliches Handeln und Entscheiden nicht allein an den Maßstäben von Effektivität und Effizienz bemessen werden sollte, sondern auch an der faktischen Akzeptanz, die es durch die verschiedenen Anspruchsgruppen erfährt.

Die ersten konkreten Initiativen und Modellversuche einer Teilprivatisierung von Justizvollzugsanstalten wurden von politischer Seite gegen Ende der 1990er Jahre durchgeführt und fielen in eine Zeit, in der die Reformen des öffentlichen Sektors nach den Ideen des New Public Management en vogue waren. Sie waren getragen von der Hoffnung auf Effizienzoptimierung und fiskalische Entlastung der öffentlichen Haushalte. Nachdem diese Modellprojekte insgesamt eher gemischte Erfolgsbilanzen vorzuweisen haben und in vielen gesellschaftlichen Sektoren zunehmend die unerwünschten Nebenfolgen von Privatisierung zu Tage treten, werden Tendenzen einer fortschreitenden Privatisierung des Strafvollzugs heute von weiten Teilen der Gesellschaft eher kritisch beäugt. Auch mit Blick auf entsprechende Entwicklungen in anderen Ländern – allen voran den USA (vgl. u. a. Lukemeyer & McCorkle, 2006) – werden von verschiedener Seite Vorbehalte gegenüber einer Aufgabenübertragung an privatwirtschaftliche Unternehmen geäußert. Es werden dysfunktionale Effekte einer Ökonomisierung des Strafvollzugs erwartet, die zum Beispiel mit dem originären Auftrag der Resozialisierung der Gefangenen nicht kompatibel seien und die öffentliche Sicherheit gefährden. Insbesondere Sozialverbände und Menschenrechtsorganisationen stehen dieser Entwicklung kritisch gegenüber. Im politischen Diskurs ist sie sehr umstritten.

Ferner ist zu erwähnen, dass die entsprechenden Modellprojekte teilprivatisierter Justizvollzugsanstalten seit Anbeginn von Seiten der Medien und der Öffentlichkeit vergleichsweise aufmerksam und skeptisch begleitet werden. Zuletzt haben sicherheitsrelevante Vorfälle und entsprechende Verfehlungen privater Bedienstete  für ein großes und kritisches Medienecho gesorgt, das der gesellschaftlichen Akzeptanz von Privatisierungsbestrebungen insgesamt abträglich ist (vgl. u.a. Pieper, 3. April 2017).

 

Quellen:

Lukemeyer, A, & McCorkle, R. C. (2006). Privatization of Prisons. Impact on Prison Conditions. American Review of Public Administration, 36 (2), 189-194.

Pieper, M. (3. April 2017). Schließer sollen geschmuggelt haben: Illegaler Außenkontakt im Knast. Abgerufen am 03.08.2019 von https://taz.de/Schliesser-sollen-geschmuggelt-haben/!5393929/.

Beim Betrieb von Gefängnissen handelt es sich um eine Schutzleistung von sehr hoher strategischer Relevanz und, was den Kernbetrieb anbetrifft, ebenso hoher Spezifität. In Anbetracht dessen muss die Gewährleistungsverantwortung zwingend in staatlicher Hand verbleiben. Auch die Erfüllungsverantwortung sollte in der Regel beim Staat liegen, wenngleich sich bei den nachrangigen Vollzugsaufgaben durchaus Spielräume für den Einsatz privater Dienstleister ergeben. Diesbezüglich ist jedoch zu bedenken, dass deren Mitwirkung beim Betrieb von Gefängnissen in besonderem Maße legitimitätsbedürftig ist.