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Grundsätzlich obliegt die Entscheidung darüber, in welcher staatlichen oder privaten Organisationsform Schutzleistungen erbracht werden sollen, dem politisch-demokratischen Prozess, wobei (verfassungs-)rechtliche Vorgaben den grundlegenden Rahmen setzen. Die Politik- und Verwaltungswissenschaft kann diesbezüglich keine aktiv-gestaltende Rolle einnehmen, sie kann jedoch als Reflexionsinstanz zur Klärung möglicher Entscheidungskriterien beitragen. Dazu wird ein Entscheidungsrahmen eingeführt, der sowohl effektivitäts-, effizienz-, als auch legitimitätsbezogene Zielgrößen berücksichtigt. In diesem Rahmen wird auf drei Einzelkriterien Bezug genommen: (1) Strategische Relevanz, (2) Spezifität, (3) Legitimität.

Das Kriterium der strategischen Relevanz berücksichtigt die Bedeutung einer Aufgabe für die Erreichung politisch gesetzter Ziele. Insbesondere bei strategisch relevanten Aufgaben muss garantiert sein, dass deren Erbringung gewährleistet und durch den Staat kontrollierbar ist. Damit steht die Steuer- und Regulierbarkeit der Schutzleistung auf dem Prüfstand.

Kritische Infrastrukturen sind grundsätzlich von zentraler Bedeutung für das gesellschaftliche Gemeinwesen. Deren Störung gefährdet die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen wie der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Versorgung sowie der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Insofern damit weitreichende Bedrohungen von Staat und Gesellschaft einhergehen, hat der Schutz kritischer Infrastrukturen fraglos eine sehr hohe strategische Relevanz. Diese ergibt sich zum einen aus der hohen gesellschaftlichen Bedeutung des Schutzgutes und zum anderen daraus, dass in diesem Zusammenhang schon kleinste technische oder menschliche Fehler potenziell gravierende Auswirkungen haben können. Die Sektoren Wasser und Energie nehmen aufgrund ihrer herausgehobenen Stellung als zentrale Versorgungsinfrastrukturen für lebensnotwendige Güter nochmals eine besondere Schlüsselrolle ein. Typisch sind dabei die Wechselwirkungen und Interdependenzen zwischen diesen unterschiedlichen Infrastrukturbereichen (vgl. BSI, 2014; Amin, 2000), die zu einer hohen Komplexität des Schutzgutes führen. Hinzu kommt, dass diese Infrastrukturen gerade aufgrund ihrer Wichtigkeit einer besonderen Gefährdung durch terroristische oder anderweitig kriminelle (Cyber-)Angriffe unterliegen (vgl. BSI, 2018)

Der Schutz dieser vitalen Infrastrukturen fällt damit unter den verfassungsrechtlichen staatlichen Schutzauftrag der Daseinsvorsorge. Um der Bedeutung der Strom- und Energieversorgung Rechnung zu tragen, wurde etwa mit dem Atomgesetz eine einschlägige Regelungsmaterie geschaffen, die sowohl die staatliche Verantwortung festschreibt als auch die private Betreiberverantwortung hervorhebt. Gleichwohl es sich damit mit Blick auf das Kriterium der strategischen Relevanz um eine Schutzleistung handelt, die eindeutig in den Verantwortungsbereich des Staates fällt, sieht der Staat in weiten Teilen von der unmittelbaren Bereitstellungs- und Erfüllungsverantwortung ab. Er trägt vielmehr die Überwachungs- und Gewährleistungsverantwortung. Der Beitrag privater Sicherheitsakteure ist damit zu einer unverzichtbaren Säule der Sicherheitsvorsorge im Sektor der kritischen Infrastrukturen geworden (Stienen, 2011, S. 171ff.).

Quellen:

Amin, M. (2000). National Infrastructures as Complex Interactive Systems. In T. S. Weyrauch (Hrsg). Automation, Control, and Complexity (S. 263-286). Chichester: John Wiley and Sons.

BSI – Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2014). UP KRITIS: Öffentlich-Private Partnerschaft zum Schutz Kritischer Infrastrukturen. Grundlagen und Ziele. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: Bonn. Abgerufen am 05.08.2019 von http://www.kritis.bund.de/SharedDocs/Downloads/Kritis/DE/UP_KRITIS_Fortschreibungsdokument.pdf? __blob=publicationFile.

BSI – Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, 2018. Cyber-Angriffe auf deutsche Energieversorger. Presseerklärung

Stienen, L. (2011). Privatisierung und Entstaatlichung der inneren Sicherheit. Erscheinungsformen, Prozesse und Entwicklungstendenzen. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.

Mit dem Prüfkriterium der Spezifität wird ein Maß für die Einzigartigkeit des mit einer Aufgabenerfüllung verbundenen Mitteleinsatzes eingeführt. Dies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die den Einsatz spezialisierter Technologien oder Anlagen, spezifische Ausstattungen, Qualifikationen, Verfahrensregeln und Kompetenzen betreffen und als Auslagerungshürden gelten.

Entsprechend der Vielfalt der zu schützenden Infrastruktursektoren sind die  spezifischen Schutzobjekte, die mögliche Bedrohungsquellen und somit auch die spezifischen Schutzmaßnahmen sehr divers. Generell lassen sich bei dieser Schutzleistung jedoch zwei Aufgabenbereiche unterscheiden: Zum einen sind dies analoge Schutzleistungen, die auf den physischen Schutz der Anlagen abzielen und die sich vor allem als präventive Objektschutztätigkeiten einordnen lassen, situativ aber auch konkrete Maßnahmen der Gefahrenabwehr erfordern. Dies umfasst ein Tätigkeitsspektrum, für das Polizeikräfte speziell ausgebildet werden und für das allein sie über die spezifischen hoheitsrechtlichen Eingriffsbefugnisse und die  notwendige Ausrüstung verfügen. Zum anderen sind heute vielfach digitale Schutzleistungen vonnöten, die einer möglichen Manipulation der anlagensteuernden IT-Systeme vorbeugen (Cyber-Sicherheit).

Die rechtlichen Spezifika der Schutzleistungserfüllung sind mitunter in verschiedenen Spezialgesetzen festgeschrieben (u. a. Atomgesetz). Auf nationaler Ebene ist die Kompetenz zur Regelung von Infrastrukturen zwischen den verschiedenen politischen Ebenen, d. h. Bund, Ländern und Kommunen verteilt (Stober, 2010, S. 123 f). Hinsichtlich des Kriteriums der Spezifität ist grundsätzlich festzuhalten, dass für die Schutzleistung in weiten Teilen operative Zugriffsmöglichkeiten und anlagenspezifisches Wissen notwendig sind, über die staatliche Behörden schlicht nicht verfügen. Infolge von Privatisierungsentwicklungen werde heute weite Teile der kritischen Infrastrukturen von privaten Unternehmen betrieben – Schätzungen gehen diesbezüglich von bis zu 80 % aus (Vgl. Strauß 2015, S. 351). Dadurch fehlen dem Staat direkte Eingriffsmöglichkeiten, sodass er zur Erfüllung der Schutzleistung zwingend auf die Mitwirkung der privaten Betreiber angewiesen ist. Für die Durchführung der konkreten Schutzleistungen sind daher in der Regel primär die privaten Anbieter verantwortlich – auch zumal diese exklusiv über spezifisches technisches Know-how und Kompetenzen hinsichtlich ihrer Anlagen verfügen. An dieser Stelle kommen dann private Sicherheitsdienstleister ins Spiel, die von privaten Betreibern mit dem präventiven Schutz ihrer Anlagen beauftragt werden, die aber im Ernstfall der konkreten Gefahrenabwehr weder über die nötigen hoheitlichen Befugnisse noch die nötige Ausstattung verfügen, um etwa terroristische Bedrohungen ad hoc abzuwehren. Beim Schutz kerntechnischer Anlagen gilt diesbezüglich jedoch die überaus umstrittene Vorgabe, dass private Sicherheitskräfte in konkreten Gefährdungssituationen „hinhaltenden Widerstand“ zu leisten haben, was sogar den Schusswaffengebrauch einschließt (Stienen 2011, 118). So stellt sich die Frage, ob dies vom Funktionsvorbehalt nach Art. 33/IV gedeckt ist. Auch wenn den Betreibern gemeinsame Übungen mit der Polizei auferlegt werden, zeigen sich an diesem Punkt die Grenzen einer Auslagerung spezifischer Sicherheitstätigkeiten.

Während private Akteure in die Erfüllungsverantwortung genommen werden, nimmt der Staat primär die Rolle eines Gewährleisters wahr, der in erster Linie moderierend und normierend die Schutzleistungserbringung steuert und überwacht. Erst im Fall einer konkreten Gefahrenlage, greift auch die staatliche Erfüllungsverantwortung (Stienen 2011, 181f.) Basierend auf der Verantwortungsteilung nach dem Gewährleistungsprinzip (staatlich) auf der einen und dem Verursacherprinzip (privat) auf der anderen Seite hat sich hier eine grundsätzlich funktionale Aufgabenteilung etabliert, die sich auch in der Gründung öffentlich-privater Partnerschaften niederschlägt. Vor allem mit dem UP KRITIS wurde eine sektorenübergreifende Zusammenarbeit initiiert, in der unterschiedliche staatliche, gesellschaftliche und private Akteursgruppen freiwillig gemeinsam Rahmenrichtlinien für den Schutz der Wasser- und Energieversorgung entwickeln und umsetzen (vgl. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, 2014). Nichtsdestotrotz wird von verschiedener Seite durchaus kritisch infrage gestellt, ob der Staat mit dieser Form einer allein normierenden, indirekten Steuerung tatsächlich seiner Gewährleistungs- und Auffangverantwortung gerecht wird oder ob es sich hierbei nicht letztlich um eine Form der Verantwortungsverschiebung handelt (vgl. etwa Wiater, 2013).

Quellen: 

BSI – Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2014). UP KRITIS: Öffentlich-Private Partnerschaft zum Schutz Kritischer Infrastrukturen. Grundlagen und Ziele. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik: Bonn. Abgerufen am 05.08.2019 von http://www.kritis.bund.de/SharedDocs/Downloads/Kritis/DE/UP_KRITIS_Fortschreibungsdokument.pdf? __blob=publicationFile.

Stienen, L. (2011). Privatisierung und Entstaatlichung der inneren Sicherheit. Erscheinungsformen, Prozesse und Entwicklungstendenzen. Frankfurt am Main: Verlag für Polizeiwissenschaft.

Stober, R. (2010). Der Beitrag der Sicherheitswirtschaft und der Unternehmenssicherheit zum Schutz kritischer Infrastrukturen. In M. Kloepfer (Hrsg.). Schutz kritischer infrastrukturen (S. 121-132). Baden-Baden: Nomos.

Strauß, J. (2015). Infrastruktursicherheit. In T. Jäger (Hrsg.), Handbuch Sicherheitsgefahren (S. 343-354). Wiesbaden: Springer.

Wiater, P. (2013): Sicherheitspolitik zwischen Staat und Markt. Der Schutz kritischer Infrastrukturen. Baden-Baden: Nomos.

Mit dem Prüfkriterium der Legitimität wird der politikwissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, dass staatliches Handeln und Entscheiden nicht allein an den Maßstäben von Effektivität und Effizienz bemessen werden sollte, sondern auch an der faktischen Akzeptanz, die es durch die verschiedenen Anspruchsgruppen erfährt.

Aus den zu erwartenden hohen gesellschaftlichen Folgeschäden, die eine Störung kritischer Infrastrukturen bewirkt, ergibt sich ein großes öffentliches Interesse an deren Schutz sowie ein hohes mediales Interesse im Schadensfall. Das Szenario des Ausfalls der Wasser- und Energieversorgung eignet sich für alarmistische Medienberichterstattung und erfährt daher einen hohen Nachrichtenwert. Dies gilt insbesondere für den Sektor der Energie und z. B. die Frage der Reaktorsicherheit, wie zuletzt etwa die Berichterstattung für den Vorfall um den Renegade-Luftalarm gezeigt hat (vgl. etwa Döschner, 16. März 2017). Der Schutz von Atomanlagen erfährt jedoch auch deshalb hohe Aufmerksamkeit, weil dieser Aspekt zugleich Teil der hitzigen gesellschaftlichen Debatte um die Energiewende ist und dementsprechend eine politische Instrumentalisierung sicherheitsrelevanter Vorfälle erwartbar ist. Zur spezifischen Frage der staatlichen und/oder privaten Verantwortung bzw. Aufgabenteilung beim Schutz der Wasser- und Energieversorgung hat sich bis dato jedoch keine gesellschaftliche Debatte entwickelt, aus der sich etwaige Akzeptanzvorbehalte ableiten ließen. Weil dies zum Teil darauf zurückgeführt werden kann, dass für Bürgerinnen und Bürger nur schwer ersichtlich ist, ob und in welchem Ausmaß private Sicherheitsakteure für die Erbringung der Schutzleistung eingesetzt werden können, macht dies auf eine  (in Teilen notwendige) Intransparenz der Öffentlichkeitsbeteiligung aufmerksam, die jedoch aus Legitimitätsgesichtspunkten problematisch einzuschätzen ist.

Quelle: 

Döschner, J. (2017). Sicherheit von Atomkraftwerken. Renegade-Voralarm – die Terrorgefahr ist real. Abgerufen am 05.08.2019 von https://www.deutschlandfunk.de/sicherheit-von-atomkraftwerken-renegade-voralarm-die.697.de.html?dram:article_id=381415.

 

Beim Schutz der Wasser- und Energieversorgung handelt es sich um eine Schutzleistung von sehr hoher strategischer Relevanz und zugleich in weiten Teilen hoher Spezifität. In Anbetracht dessen muss die Gewährleistungsverantwortung zwingend in staatlicher Hand verbleiben. Hinsichtlich der Erfüllungsverantwortung ergeben sich Mitwirkungspotenziale privater Sicherheitsdienste insbesondere dort, wo entweder vergleichsweise unspezifische Teilleistungen erbracht werden müssen oder aber staatliche Kräfte selbst nicht über die nötigen direkten Eingriffsmöglichkeiten verfügen.