In Deutschland gibt es aktuell keine Sicherheitsdienste, die den Campuspolizeien in den Vereinigten Staaten auch nur annähernd ähneln. Sind dezidiert für bestimmte Bildungseinrichtungen tätige Sicherheitsdienste vorhanden, so sind sie mit begrenzten Befugnissen ausgestattet und führen keine Schusswaffen. Sind über diese Befugnisse hinausgehende Eingriffe und Maßnahmen erforderlich, oder Schusswaffen zur Gefahrenabwehr erforderlich, greift in Deutschland die staatliche Polizei ein. Gleiches gilt für Ermittlungstätigkeiten.
Juristische Aspekte an dieser Stelle außer Acht lassend stellt sich aus ökonomischer Sicht die Frage, ob dies aus Gesichtspunkten der Effizienz die beste Lösung ist. Bei dieser Kostenbetrachtung kommen dabei einige Unterschiede zu amerikanischen Verhältnissen zum Tragen.
Die oben erwähnten Randaufgaben stellen zwar keine komplexen Anforderungen an die Qualifikation des tätig werdenden Personals, und lassen sich daher mit im Vergleich zu Polizeibeamten mutmaßlich kostengünstigeren Kräften privater Dienstleister erbringen. Anders sieht es jedoch schon im Bereich von Ermittlungstätigkeiten aus, und hohe Qualifikationsanforderungen stellt die Bewältigung bewaffneter Angriffe, von Amoklagen usw. Entsprechend qualifiziertes und erfahrenes Personal – so es auf dem freien Arbeitsmarkt verfügbar sein sollte – wird im Zweifelsfall nicht kostengünstiger sein.
In den Vereinigten Staaten haben Polizeibeamte je nach Gebietskörperschaft und ihren Regularien typischerweise nach 20 bis 30 Dienstjahren das Anrecht auf volle Pensionsbezüge. Einige von ihnen nehmen dann den vorzeitigen Abschied, und die Möglichkeit wahr, in einer weniger gefährlichen und oft besser vergüteten Verwendung bspw. für Campuspolizeien tätig zu werden. Anders als in Deutschland[1] steht also auf dem Arbeitsmarkt hochgradig qualifiziertes und langjährig erfahrenes Personal in Form ehemaliger Polizeibeamter zur Verfügung.
Ein weiterer Aspekt sind Unterschiede im Bedarf nach solchen Fähigkeiten. Wie oben beschrieben, handelt es sich bei den oben angerissenen bewaffneten Angriffen innerhalb von Bildungseinrichtungen, insbesondere bei den active shooter events, um ein in den Vereinigten Staaten im Vergleich zu Deutschland viel häufigeres Phänomen. Der Bedarf nach einer sehr schnellen bewaffneten Reaktionsfähigkeit innerhalb von Bildungseinrichtungen, und damit nach dort permanent bereitzuhaltendem qualifiziertem und erfahrenem Personal, ist in den Vereinigten Staaten sehr real – in Deutschland aber (bislang und glücklicherweise) quasi nicht vorhanden.
In Deutschland sind also derzeit für – öffentliche oder private – Bildungseinrichtungen weder ein durch eine entsprechende Bedrohungslage evozierter Bedarf noch das ggf. notwendige Personal auf dem freien Arbeitsmarkt vorhanden.
Eine bevorzugte oder ausschließliche Rolle staatlicher Stellen bei der Herstellung könnte sich zusätzlich aufgrund von Aspekten dysfunktionaler Märkte ergeben. Kostenaspekte wie Transformations- und Transaktionskosten spielen bei der Entscheidung bezüglich der Herstellungsverantwortung in diesem Fall aus unserer Sicht keine Rolle – jedoch kämen Verfahrenspräferenzkosten in Frage. Verfahrenspräferenzkosten spielen dann eine Rolle, wenn nennenswerter Machtmissbrauch bei der Erstellung des Produktes – hier der Erbringung der Schutzleistung – möglich ist.
Polizeibeamte handeln im Rahmen des öffentlichen Rechts grundsätzlich regelorientiert, private Sicherheitskräfte dagegen primär ergebnisorientiert. Die Verringerung der Wahrscheinlichkeit von Machtmissbrauch kann eine kostenaufwändigere, aber regelorientiertere Herstellung rechtfertigen – letztlich ist das eine Präferenzfrage. Bei der Tätigkeit von Campuspolizeien spielte die Wahrung des Neutralitätsgebotes eine möglicherweise dann eine entscheidende Rolle, wenn aus irgendwelchen Gründung diskriminierende Ahndung von Verstößen zu erwarten sein könnte. Falls Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch die eingesetzten Mitarbeiter unzulässig (also bspw. auf Basis von Rasse, Hautfarbe oder ethnischer Herkunft, Sprache, politischer Ansichten, Weltanschauung, Religion, Behinderung, Geschlecht, sexueller Ausrichtung, Vermögen, oder Alter) diskriminiert werden könnte, könnte dies für den Einsatz behördlichen Personals sprechen, insofern bei diesem die Wahrscheinlichkeit einer unzulässigen Diskriminierung bspw. aufgrund behördlicher Kontrollprozesse geringer erscheint.
Relevant in Bezug auf die betrachtete Schutzleistung bei der Entscheidung, wer nun herstellen soll – Staat oder Markt – ist ferner die Prüfung, ob eine Form von Marktversagen vorliegen könnte. Hier kommen in unserem Kontext vor allem externe Effekte (Auswirkungen auf Unbeteiligte, für die keinerlei Ausgleich erfolgt – zum Beispiel räumliche Verdrängungs- und Verlagerungseffekte von lautstarken Studierenden-Partys vom Privat-Campus in angrenzende Parks, so dass Anwohner vermehrt durch nächtliche Ruhestörung belastet werden) infrage. Asymmetrische Informationen (Probleme aus dem Bereich principal agent oder adverse selection, die auftreten könnten, wenn es private Schutzleistungsanbieter zweifelhafter Vertrauenswürdigkeit gibt) sind aus unserer Sicht typischerweise hier nicht relevant. Wettbewerbsbeschränkungen oder natürliche Monopole sind nicht zu erwarten. Rationalitätsdefizite (Fragen von Wollen und Eigeninteresse, Können und kognitiven Beschränkungen) könnten eine Rolle spielen.
[1] Anm.: Allenfalls ehemalige Militärangehörige stünden in Deutschland auf dem freien Arbeitsmarkt in begrenzter Anzahl zur Verfügung. Neben taktischen Fähigkeiten sind bei active shooter events aber unter Umständen zusätzlich eher aus der Polizeiarbeit stammende Kompetenzen wie der Kommunikation und Verhandlung mit (ggf. suizidalen) Personen in psychischen Ausnahmesituationen, der Unterscheidung von Situationen, in denen Verhandlung eine aussichtlose Taktik darstellt, sowie der reibungslosen Kooperation mit eintreffenden staatlichen Polizeikräften gefragt.
[2] Anm.: Die möglichen Gründe für die Zunahme solcher Zwischenfälle – Bevölkerungswachstum, Zunahme psychischer Erkrankungen, Radikalisierung, Einfluss des Internets, Einfluss sog. first person shooter games, Tatmittelzugang, u.v.m. – über die Zeit sollen hier nicht weiter erörtert werden. Ein wichtiger Unterschied der Rahmenumstände sei hier allerdings erwähnt: In den Vereinigten Staaten ist der Zugang zu Schusswaffen für die Täter wesentlich einfacher als in Deutschland, wo der Schusswaffenerwerb gesetzlich strikt an Zuverlässigkeit, Bedürfnisprüfung sowie Sachkundenachweis gebunden ist. Dass andere Faktoren eine entscheidende Rolle spielen müssen, wird mit Blick auf die Schweiz deutlich. Dort befindet sich aufgrund des Milizsystems eine große Anzahl (vgl. Karp 2018) von Sturmgewehren in privaten Haushalten von Reservisten. Die Fälle pro Einwohner von Angriffen mit diesen Schusswaffen sind allerdings trotz der leichten Verfügbarkeit im Vergleich zu den Vereinigten Staaten extrem selten.
[3] Vgl. Grossekettler 1998, 11.
[4] Anm.: Vgl. einschlägige Richtlinien der Europäischen Union zur Gleichbehandlung, beispielsweise 2000/43/EG, 2000/78/EG, 2004/113/EG, und 2006/54/EG.
[5] Anm.: Vgl. Paefgen 2009, 210.
Quellen:
Europäische Union (2000/04/06). Richtlinien der Europäischen Gemeinschaft, insbes. 2000/43/EG (Gleichbehandlung ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft), 2000/78/EG (Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf), 2006/54/EG (Gleichbehandlung von Frauen und Männern in Arbeits- und Beschäftigungsfragen), 2004/113/EG (Gleichbehandlung von Frauen und Männern außerhalb des Beschäftigungsbereichs).
Grossekettler, H. (1998), Staatsaufgaben aus ökonomischer Sicht, Volkswirtschaftliche Diskussionsbeiträge der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Nr. 274.
Karp, A. (2018). Estimating global civilian-held firearms numbers(pp. 1-12). Ginebra, Suiza: Small Arms Survey.
Paefgen, A. (2009). Rationalitätsdefizite im Handeln von Controllern: Ausprägungsformen und Gegenmaßnahmen (Vol. 34). Springer-Verlag.