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Grundsätzlich obliegt die Entscheidung darüber, in welcher staatlichen oder privaten Organisationsform Schutzleistungen erbracht werden sollen, dem politisch-demokratischen Prozess, wobei (verfassungs-)rechtliche Vorgaben den grundlegenden Rahmen setzen. Die Politik- und Verwaltungswissenschaft kann diesbezüglich keine aktiv-gestaltende Rolle einnehmen, sie kann jedoch als Reflexionsinstanz zur Klärung möglicher Entscheidungskriterien beitragen. Dazu wird ein Entscheidungsrahmen eingeführt, der sowohl effektivitäts-, effizienz-, als auch legitimitätsbezogene Zielgrößen berücksichtigt. In diesem Rahmen wird auf drei Einzelkriterien Bezug genommen: (1) Strategische Relevanz, (2) Spezifität, (3) Legitimität.

Das Kriterium der strategischen Relevanz berücksichtigt die Bedeutung einer Aufgabe für die Erreichung politisch gesetzter Ziele. Insbesondere bei strategisch relevanten Aufgaben muss garantiert sein, dass deren Erbringung gewährleistet und durch den Staat kontrollierbar ist. Damit steht die Steuer- und Regulierbarkeit der Schutzleistung auf dem Prüfstand.

Die Durchführung innerbetrieblicher Ermittlungen stellt keine Staatsaufgabe dar. Adressat dieser präventiven Schutzleistung ist nicht primär die Öffentlichkeit, sondern Nutznießer ist vielmehr in erster Linie das Unternehmen, das durch die Einrichtung eines Compliance Managements und die Beauftragung unternehmensinterner oder -externer Ermittler Reputationsschäden vorbeugen und Rechtskosten senken kann. Es handelt sich damit um ein Vorgehen betriebswirtschaftlicher Vernunft. Entsprechend besteht auch keine direkte Rechtspflicht, die Unternehmen zum Compliance Management verpflichtet, sondern es existieren allein brancheninterne Regelungen (Meyer, 2013). Staatliche Ermittlungsbehörden werden in der Regel erst dann eingeschaltet, wenn sich sehr konkrete Anhaltspunkte für strafrechtlich relevantes Fehlverhalten ergeben haben, die deren Hinzuziehung zwingend notwendig machen (Klengel & Mückenberger, 2009). Ist dies der Fall, kommt es zu einer privat-öffentlichen Zusammenarbeit.  Für die staatliche Seite besteht dabei die Herausforderung, die Vorarbeiten der internen Ermittler zu nutzen, ohne damit den Beweiswert der Ermittlungsergebnisse zu gefährden.

Die Schutzleistung entfaltet allenfalls insofern indirekt politische Relevanz, als dass hiermit wirtschaftliche Folgeschäden vermieden werden können, die – siehe zuletzt den sogenannten Dieselskandal – auch volkswirtschaftlich ins Gewicht fallen können. Gleichwohl sind der staatlichen Erfüllung und Regulierung aufgrund der Privatautonomie der Unternehmen enge Grenzen gesetzt. Aus staatlicher Sicht entsteht jedoch spätestens dann Handlungsbedarf, wenn absehbar wird, dass interne Ermittlungen die Verdunklung und Strafvereitelung von Straftaten systematisch erschweren und damit die Arbeit der Justiz bzw. der Strafverfolgungsbehörden strukturell behindern. Eine stärkere Verrechtlichung und insbesondere Vereinheitlichung des Einsatzes interner Ermittler, wie sich gegenwärtig abzeichnet, könnte dem vorbeugen und insbesondere mehr Rechtssicherheit schaffen. Gerade im Zeichen der jüngsten Wirtschaftsskandale hat das Thema an politischer Salienz gewonnen, wodurch sich ein Möglichkeitsfenster für entsprechende politische bzw. gesetzliche Initiativen geöffnet hat. So heißt es etwa im Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2018): „Um Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu schaffen, werden wir gesetzliche Vorgaben für „Internal Investigations“ schaffen, insbesondere mit Blick auf beschlagnahmte Unterlagen und Durchsuchungsmöglichkeiten. Wir werden gesetzliche Anreize zur Aufklärungshilfe durch „Internal Investigations“ und zur anschließenden Offenlegung der hieraus gewonnenen Erkenntnisse setzen.“ Im August 2019 hat das Bundesministerium für Justiz und Verbraucherschutz schließlich einen ersten (nicht öffentlichen) Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Bekämpfung der Unternehmenskriminalität“ vorgelegt, sodass zu erwarten ist, dass sich ein politischer Regulierungswille zeitnah in konkreten Gesetzesinitiativen niederschlägt.

 

Quellen: 

Klengel, J.D.W., & Mückenberger, O. (2009). Internal Investigations – typische Rechts- und Praxisprobleme unternehmensinterner Ermittlungen, CCZ, 81-87.

Koalitionsvertrag der Bundesregierung (2018). Abgerufen am 02.08.2019 von https://www.bundesregierung.de/resource/blob/656734/847984/5b8bc23590d4cb2892b31c987ad672b7/2018-03-14-koalitionsvertrag-data.pdf?download=1.

Meyer, S. (2013). Rechtspflicht zur Compliance?. In: Compliance-Manager — das Online-Portal. H. 21.3. Abgerufen am 02.08.2019 von https://www.compliance-manager.net/fachartikel/rechtspflicht-zur-compliance-807.

Mit dem Prüfkriterium der Spezifität wird ein Maß für die Einzigartigkeit des mit einer Aufgabenerfüllung verbundenen Mitteleinsatzes eingeführt. Dies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die den Einsatz spezialisierter Technologien oder Anlagen, spezifische Ausstattungen, Qualifikationen, Verfahrensregeln und Kompetenzen betreffen und als Auslagerungshürden gelten.

Hinsichtlich des Kriteriums der Spezifität ist festzuhalten, dass die entsprechenden staatlichen Akteure im Vergleich zu privaten internen Ermittlern zwar über ein Mehr an Durchsetzungsrechten verfügen, ihnen aber in der Regel der Einblick in und das Verständnis für unternehmensspezifische Betriebsabläufe fehlt, um effektiv und effizient innerbetriebliche Ermittlungen zu führen. So sind nicht allein rechtliche, sondern auch betriebswirtschaftliche sowie technische Kenntnisse bzw. Erfahrungen erforderlich (Klauer, 2012), über die staatliche Ermittlungsbehörden nicht in jedem Fall verfügen.

Der Einsatz betriebsinterner Ermittler und/oder die Beauftragung externer Sicherheitsdienstleister bzw. Detekteien hat vor diesem Hintergrund den Vorteil, dass die Ermittlungen professioneller und schneller durchgeführt werden können (Klengel & Mückenberger, 2009). Allerdings sind diese Ermittlungen mitunter unter Gesichtspunkten des Datenschutzes problematisch. Sie können leicht unternehmensinterne Konflikte auslösen, leiden unter mangelnder interner Akzeptanz und verursachen unweigerlich Kosten für das Unternehmen.

 

Quellen:

Klauer, C. (2012). Ermittlungs- und Detektivdienste. In R. Stober, H. Olschok, S. Gundel, & M. Buhl (Hrsg.), Managementhandbuch Sicherheitswirtschaft und Unternehmenssicherheit (S. 498-505). Stuttgart: Richard Boorberg Verlag.

Klengel, J.D.W., & Mückenberger, O. (2009). Internal Investigations – typische Rechts- und Praxisprobleme unternehmensinterner Ermittlungen, CCZ, 81-87.

Mit dem Prüfkriterium der Legitimität wird der politikwissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, dass staatliches Handeln und Entscheiden nicht allein an den Maßstäben von Effektivität und Effizienz bemessen werden sollte, sondern auch an der faktischen Akzeptanz, die es durch verschiedene Anspruchsgruppen erfährt.

In jüngster Zeit haben verschiedene Skandale, insbesondere der so genannte Dieselskandal, das Thema Wirtschaftskriminalität und Compliance in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Aus Sicht vieler medialer Beobachter haben in diesem Fall die betriebsinternen Compliance-Wächter insofern versagt, als es ihnen nicht gelungen ist, illegalen Machenschaften vorzubeugen, diese aufzuklären und zu unterbinden (vgl. u. a. ntv 2015). Dies wird in der öffentlichen, politischen und auch in der wissenschaftlichen Debatte bisweilen zum Anlass genommen, von Unternehmen eine Prüfung und gegebenenfalls Neustrukturierung ihrer Compliance-Strukturen zu fordern. In diesem Zusammenhang wird gleichzeitig auch an die Verantwortung der Politik und der öffentlichen Strafverfolgungsbehörden appelliert und ein entsprechendes Aufsichtsdefizit angemahnt. Die etablierte Arbeitsteilung, demnach Unternehmen zunächst vollständig autonom gegen sich bzw. gegen einzelne Mitarbeiter selbst ermitteln und die Hinzuziehung von Strafverfolgungsbehörden als ultima ratio wählen, hat im Lichte dieser Skandale deutlich an Legitimität eingebüßt. Demgegenüber verspricht eine Beauftragung externer Ermittler einen höheren Grad an Unabhängigkeit und Unparteilichkeit.

 

Quelle:

https://www.n-tv.de/wirtschaft/VW-Skandal-offenbart-mangelhafte-Aufsicht-article16020026.html

Bei innerbetrieblichen Ermittlungen im Vorfeld strafprozessualer Ermittlungen handelt es sich um eine Schutzleistung, deren Erfüllung primär in privatem Interesse liegt und die dementsprechend eine geringe strategische Relevanz aufweist. Der Staat trägt daher in diesem Fall weder die Gewährleistungs- noch die Erfüllungsverantwortung. Es handelt sich vielmehr um eine Schutzleistung, die in privater Hand verbleiben kann, auch zumal staatliche Stellen in der Regel hier nicht über die spezifischen Kompetenzen verfügen, um die Schutzleistung effektiv zu erbringen. Gleichwohl kann und sollte der Staat hier im Rahmen der Gesetzgebung für mehr Rechtssicherheit sorgen, auch um der Gefahr der Strafvereitelung vorzubeugen.