Die technische Perspektive zeigt anhand ausgewählter Kriterien neue technologische Trends auf und setzt sie in einen Zusammenhang mit den jeweiligen Schutzleistungen. Das Ziel ist es, mögliche und wahrscheinliche Auswirkungen auf das Angebot von Schutz abzuleiten und zu skizzieren, wie sich Dienstleistungsangebote auf dieser Basis verändern könnten. Abschließend werden einzelne technische Entwicklungen dargestellt und bewertet, die eine wesentliche Neuorientierung im untersuchten Bereich nötig machen könnten.
Videoüberwachung bzw. Videoüberwachungs-Systeme dienen der – privaten oder staatlichen – Beobachtung von Orten durch optisch-elektronische Einrichtungen. Technisch umfassen sie die Erfassung des Bildmaterials, deren Übertragung bis zur Betrachtung, Analyse und Bewertung. Prinzipiell zu unterscheiden ist also zwischen der Kameratechnik selbst (zur Erfassung des Materials, der Übertragungs- und Speicherungstechnik sowie der Auswertung durch Videoanalysetechnik. Die Einsatzbereiche umfassen:
- Objektschutz und Perimeterschutz
- Wahrnehmung des Hausrechts
- Präventive Wirkung durch Förderung von Konformismus im öffentlichen Raum
- Beobachtung und Bewertung des Verhaltens oder der Leistung von Beschäftigten
- Beobachtung und Kontrolle industrieller Abläufe
- Lagebilderkennung (z. B. Voraussetzung zur Lenkung von Besucherströmen bei Großveranstaltungen)
- Naturbeobachtung / Wildtierbeobachtung
Videoüberwachung war – und ist bis heute – in vielen Bereichen noch an proprietäre, häufig kabelgebundene Infrastrukturen gebunden. Seit einigen Jahren fällt kontinuierlich der Preis für vernetzte (IP-basierte) Kameratechnik. Entsprechende Kameras können kabelgebunden und zunehmend auch autark über Funkstrecken (üblicherweise WLAN-Frequenzen) in lokale Netze integriert werden. Eine gute Verschlüsselung der Administrationsinterfaces der Kameratechnik und eine sichere Transportverschlüsselung vorausgesetzt – steht hierbei ein günstiges und flexibles Videoinstrumentarium zur Verfügung. Der Zugriff auf die Kameradaten kann lokal oder von beliebigen an das Internet angeschlossenen Endgeräten (PCs, Smartphones, Tablets, entfernte Leitwarten usw.) erfolgen. Hier steht eine weitergehende, gravierende Verbreitung mit dem voranrückenden Internet-Protokoll IPv6 sowie den 5G-Netzen an. Dabei werden entsprechende Endgeräte nicht mehr in den Netzwerken der überwachten Einrichtungen oder der überwachenden Sicherheitsunternehmen eingebunden, sondern agieren als eigenständig, direkt mit dem Internet verbundene Endgeräte. Diese Vernetzung, zunehmende Miniaturisierung und deutlich günstigere Kameras ermöglichen deutlich ausgeprägtere Überwachungsmöglichkeiten, auch im Internet of Things (IoT).
Große Veränderung im Bereich der Videoüberwachung sind zu erwarten durch immer leistungsfähigere und zugleich kostengünstige Hardware-Module, die in den Kameragehäusen mitverbaut werden können. Durch leistungsfähigere Hardware, größere Speicher, verbesserte Kompressionsalgorithmen und vor allem „intelligentere“ Software zeichnet sich schon heute ab, dass zukünftig ein Großteil der Auswertungs-Logik durch die Betreiber der Videoüberwachung in die Kamera übertragen werden wird. Sucht eine Videoüberwachung etwa nach dem Gesicht einer bestimmten Person (oder nach den Gesichtern mehrerer Personen, werden vorab spezielle maschinenverarbeitbare Dateien an die einzelnen Kameras übertragen, die daraufhin alle aufgenommenen Videoströme nach diesen Mustern durchsuchen. Nur bei einer positiven Erkennung des gesuchten Gesichtes würde die entsprechende Kamera mit der Aufzeichnung der entsprechenden Videosequenzen beginnen. Kombiniert man diese Fähigkeit mit Schwarmintelligenz, dann können etwa verschiedene Kameras sich gegenseitig zu „Treffern“ in ihren Videoströmen unterrichten, sich automatisiert auf das erkannte Gesicht und die zugehörige Person ausrichten und aus verschiedenen Perspektiven Videos aufzeichnen. Schon heute etabliert sind Kameras mit Software, die das automatisierte Ausblenden bestimmter Bildbereiche erlauben. Damit lassen sich etwa öffentlich zugängliche Sektoren – selbst im wandernden Aufnahmekegel einer automatisiert ausgerichteten Kamera – gegenüber den zu überwachenden Bereichen abgrenzen.
Zusätzlich zum „sichtbaren Licht“ werden verstärkt andere nutzbare Frequenzen in den kommenden Jahren Einzug in die Kameratechnologie aller Qualitätsklassen halten (Multispektralbereich, naher (NIR), mittlerer (MWIR), langwelliger (LWIR) Infrarotbereich). Bereits heute ist es möglich, über Infrarot-Laser durch Kleidungsstücke hindurch die individuelle Herzfrequenz von Personen zu messen und diese darüber eindeutig zu identifizieren[1]. Mit zunehmender Massentauglichkeit neuer Kameratechnologien und den damit einhergehenden stark fallenden Preisen für Hard- und Software zur Verarbeitung/Auswertung entsprechender Bilddaten für den Videoüberwachungsbereich werden sich breite neue Anwendungsszenarien ergeben.
Quelle:
[1] Vgl. Mattke, S.: US-Militär kann Personen mit Herz-Signatur auf Distanz identifizieren. (https://www.heise.de/newsticker/meldung/US-Militaer-kann-Personen-mit-Herz-Signatur-auf-Distanz-identifizieren-4457220.html; abgerufen am 09. Mai 2019)
Videoüberwachung ist heute noch in starkem Maße auf stationäre Kameras in und an Gebäuden oder an mastbasierten Ausprägungen ausgerichtet. Dies wird sich mit zunehmend populär und damit günstiger werdenden mobilen Plattformen zu Land und vor allem in der Luft („unmanned aerial vehicles“, UAVs) gravierend ändern. Insbesondere Drohnen und in zunehmendem Maßstab auch Fesselballons werden als mobile Höhenplattformen immer weiter an Bedeutung gewinnen. Zudem steigt die Relevanz von kabelgebundenen Plattformen, die mit Energieversorgungs- und Datenkabel an entsprechende Fahrzeuge mit großen Akkus angebunden sind, ähnlich wie es bereits im maritimen Bereich mit Tauchrobotern eingesetzt wird[1].
Autonome Drohnen mit automatischer Bilddatenauswertung können eine wichtige Ergänzung zum Personaleinsatz darstellen. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft Gefahrensituationen stärker automatisiert erfasst und bewertet werden können und entsprechende Alarmierungen ausgesendet werden. Bislang ist noch Personal zur Evaluation der Lage nötig, aber schon jetzt können vor dem Hintergrund leistungsfähiger Drohnen- und Auswertungstechnik (z. B. auf Basis von Künstlicher Intelligenz) Personalressourcen deutlich eingespart werden.
Anmerkung:
[1] Qualifizierende Voraussetzungen für das Sicherheitspersonal sind ein Drohnenführerschein und für den Betrieb von UAVs ab 5kg Aufstiegsgewicht sogar eine Aufstiegserlaubnis, die von den Landesluftfahrtbehörden der Bundesländer erteilt wird.
Mit bildgebenden Verfahren und neuen Algorithmen zur Auswertung großer Datenmengen (Big Data Analytics/Künstliche Intelligenz) lassen sich bereits jetzt bestimmte Arten von auffälligem Verhalten automatisch identifizieren: Bewegungslosigkeit, Stürze, ungewöhnliche Gehrichtung und Gehgeschwindigkeit von Einzelpersonen.[1] Zukünftig ergänzt wird dies durch Systeme, die auf Basis erfasster audiovisueller Daten in Echtzeit auch „abnormales Verhalten“ wie z. B. Aggressionen oder die Vorbereitung von Straftaten erkennen können. Dies unterstützt eine nachhaltig effektivere und effizientere Lageerkennung.[2] Analog kann auch das Erscheinen unbeweglicher Objekte identifiziert werden (ein Hinweis auf ggf. herrenlose, zurückgelassene Gegenstände). Eine Erweiterung mit Technologien des Machine Learning (ML) wird vor allem bei der Gepäckkontrolle die Bewertung von Gefahren und Risiken auf Durchstrahlungsbildern maßgeblich unterstützen können. Die Assistenzsysteme haben vier wesentliche Zielrichtungen:
- Automatisierte Zustandserkennung (z. B. Belegungsgrad von Parkplätzen/Parkhäusern)
- Automatisierte Identifikation (z. B. Nummernschilderkennung, Gesichtserkennung)
- Automatisierte Anomalie-Detektion (z. B. herrenlose Gegenstände, Aggressions-Erkennung, Stauerkennung)
- Automatisierte Benachrichtigung bei Eintreten vorab festgelegter Regeln (z. B. bestimmte Person wurde erkannt, Fluchtweg ist versperrt, herrenloser Gegenstand wird länger als 5 min nicht bewegt)
[1] Popoola, Oluwatoyin P., and Kejun Wang. „Video-based abnormal human behavior recognition—A review.“ IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Part C (Applications and Reviews) 42.6 (2012): 865-878.
[2] Vgl. [2]Popoola, Oluwatoyin P., and Kejun Wang. „Video-based abnormal human behavior recognition—A review.“ IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Part C (Applications and Reviews) 42.6 (2012): 865-878. Ein Projekt-Beispiel ist: SMARAGD (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/mfund-projekte/Smaragd.html?nn=326002; abgerufen am 09. Mai 2019)
Aus rechtlicher Sicht gelten in Deutschland natürlich enge Grenzen für den Einsatz von Videoüberwachung mit einer Vielzahl anzuwendender Gesetze, Verordnungen und Richtlinien.
Aus technischer Sicht kann allerdings ergänzt werden, dass die direkte Verarbeitung und Analyse der erhobenen Bilddaten lokal (also „vor Ort“ in der Kamera) ein großes Potenzial für datenschutzrelevante Fragestellungen besitzt: Anstatt dass die Videodaten zunächst (potenziell ungeschützt) übertragen, gespeichert und schließlich von einer Sicherheitskraft persönlich analysiert werden, können die potenziell schützenswerten personenbezogenen Daten „anonym“ direkt in der Kamera verarbeitet, aggregiert und ggf. direkt verworfen werden. Herausgegeben würden nur diese aggregierten Daten, wie beispielsweise nur eine Kennzahl, wie hoch die Personendichte im überwachten Bereich aktuell ist. Somit könnten ein Großteil der kontinuierlich per Videostrom erhobenen Daten sofort wieder verworfen werden, und die berechtigte Forderung nach Datenminimierung ist realisiert. Insbesondere trotz des massiven Ausbaus der Videoüberwachung in Deutschland, Europa und weltweit kann dem Datenschutz durch intelligentere Überwachungskameras Genüge getan werden, sofern der Output dieser Kameras nun keine Videodaten mehr sind, sondern lediglich spezifische Ausschnitte des Materials oder ein Datenstrom von Kennzahlen.
Zentral ist, dass in den nächsten Jahren nicht nur die Technik selbst fundamentalen Veränderungen unterworfen sein wird, sondern dass sich technologie-unabhängig die zugrundeliegenden Konzepte von Videoüberwachung selbst weiterentwickeln. Die Konsequenzen betreffen Arbeitsweisen, Anforderungsprofile sowie den Personalumfang des Sicherheitspersonals. Zu den wichtigsten Änderungen der nahen Zukunft zählen:
- Es gibt keine 1-zu-1-Zuordnung von einer Kamera zu genau einem Monitor mehr. Zwischen die Kameras und die Ausgabemonitore wird eine zunehmend smarte Videoanalysetechnik geschaltet.
- Nicht mehr Sicherheitspersonal, sondern Software wird zunehmend das Videomaterial analysieren. Die Videoanalysetechnik stellt „Erkenntnisse“ als Kennzahlen, Grafiken, Benachrichtigungen bereit.
- Analysetechnik in den Kameras liefert kein Videomaterial mehr als Ausgabe, sondern die aggregierten Informationen selbst (z. B. aktuelle Personendichte, Objekterkennung/ -klassifikation/ -verfolgung).
- Ortsungebundenheit I: Kameratechnik wird durch zunehmende Miniaturisierung mobiler. Kameras werden verstärkt in mobile Trägersysteme (Drohnen für Luftaufnahmen, Autos mit Dashcams, Personen mit Bodycams) integriert.
- Ortsungebundenheit II: Anstatt in sich geschlossener CCTV-Systeme sind die Komponenten des Videoüberwachungs-Systems digital vernetzt und oftmals über das Internet und/oder Public/Private-Clouds zugreifbar.
- Vernetzung: Kameras werden zunehmend über eine Funkstrecke (WLAN, 5G) angebunden und zu einem Gesamt-Überwachungssystem verschaltet. Dabei können die von einer Kamera erhobenen Daten einerseits sowohl an ein (oder mehrere) verarbeitende Videoanalyse-Systeme gesendet werden, und andererseits können „intelligentere“ Kameras einander dezentral Videos und Informationen austauschen, beispielsweise um eine über die integrierte Gesichtserkennung erkannte Person an Kameras in der Umgebung zur weiteren Verfolgung weiterzuleiten.
- Überwachungskameras selbst werden als einer von vielen Sensoren in einem integrierten, vernetzten Überwachungssystem agieren, komplementiert von weiteren Sensoren, wie etwa Bewegungsmeldern, Personen-Dichtemessungen via WLAN-Signale der Smartphones, sonstige vernetzte Haustechnik. Kernstück ist die Videoanalysetechnik, welche die Signale verschiedenster Kameras zusammenführt, mithilfe von Mustererkennung, Big Data Analysen, Machine Learning und Künstlicher Intelligenz.
Videoüberwachung hat sich – einhergehend mit immer weiterer Miniaturisierung und Vergünstigung von Hardware, empfindlicheren und hochauflösenden Sensoren und immer leistungsstärkerer Software – zu einer der wichtigsten Sicherheitstechnologien entwickelt. Es gibt kaum eine Schutzleistung, die heute nicht Videoüberwachung als Verfahren oder als Leistungsbestandteil bestimmter Services eingebunden hat. Insbesondere die Vernetzung von Überwachungstechnik und der Einsatz bildgebender Verfahren (Mustererkennung – Künstliche Intelligenz) hat zu technologischen Quantensprüngen geführt, was nichts mehr mit den betagten Verfahren aus der Zeit abgeschirmter und analoger „Closed Circuit Television“ (CCTV) gemein hat.
Die verschiedenen technischen Ausprägungen (=Bausteine) von Kameratechnik, Übertragungs- und Speichertechnik sowie Videoanalysetechnik sind sämtlich aktuell – als auch künftig – massiven technologischen Innovationen und somit Veränderungen unterworfen. Absehbar wird der bereits etablierte Sektor durch neue Technologien, neue Softwareverfahren, erweiterte Mobilität, Miniaturisierung, vielfältige Trägerplattformen und weitergehende Verbilligung und Massentauglichkeit der Endgeräte nochmals enorm an Fahrt aufnehmen und insbesondere durch Kombination verschiedener Innovationen den Umgang und die Anwendung von Videoüberwachung massiv verändern.
Autonome Drohnen mit automatischer Bilddatenauswertung können eine wichtige Ergänzung zum Personaleinsatz darstellen. Es ist davon auszugehen, dass in Zukunft Gefahrensituationen stärker automatisiert erfasst und bewertet werden können und entsprechende Alarmierungen ausgesendet werden. Bislang ist noch Personal zur Evaluation der Lage nötig, aber schon jetzt können vor dem Hintergrund leistungsfähiger Drohnen- und Auswertungstechnik (z. B. auf Basis von Künstlicher Intelligenz) Personalressourcen deutlich eingespart werden.
Aufgrund derzeitig ablaufender und künftig anstehender Veränderungen in der Videoüberwachung sind veränderte Anforderungsprofile für das Sicherheitspersonal absehbar:
- im Einsatz: Befähigung zum Umgang mit mobilen Kamerasystemen, z. B. Drohnenführerschein, Verwendung von Body-Cams.
- verstärktes IT-Wissen und Schulungen notwendig, z. B.
- Nicht mehr nur Live-Bilder von Kameras müssen analysiert werden sondern ein Zusammenspiel vielfältiger Sensoren
- Umgang mit weiteren Typen von Kamerabildern (Perspektivwechsel durch Luftaufnahmen, IR, Nachtsicht, …)
- Befähigung zur Interpretation der vom System erstellten Kennzahlen sowie Verständnis darüber, wie das Überwachungssystem intern arbeitet
- Einpflegen neuer Erkenntnisse (Muster, Regeln) in das Überwachungssystem zur Verbesserung des Machine Learning des Analysesystems