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Grundsätzlich obliegt die Entscheidung darüber, in welcher staatlichen oder privaten Organisationsform Schutzleistungen erbracht werden sollen, dem politisch-demokratischen Prozess, wobei (verfassungs-)rechtliche Vorgaben den grundlegenden Rahmen setzen. Die Politik- und Verwaltungswissenschaft kann diesbezüglich keine aktiv-gestaltende Rolle einnehmen, sie kann jedoch als Reflexionsinstanz zur Klärung möglicher Entscheidungskriterien beitragen. Dazu wird ein Entscheidungsrahmen eingeführt, der sowohl effektivitäts-, effizienz-, als auch legitimitätsbezogene Zielgrößen berücksichtigt. In diesem Rahmen wird auf drei Einzelkriterien Bezug genommen: (1) Strategische Relevanz, (2) Spezifität, (3) Legitimität.

Das Kriterium der strategischen Relevanz berücksichtigt die Bedeutung einer Aufgabe für die Erreichung politisch gesetzter Ziele. Insbesondere bei strategisch relevanten Aufgaben muss garantiert sein, dass deren Erbringung gewährleistet und durch den Staat kontrollierbar ist. Damit steht die Steuer- und Regulierbarkeit der Schutzleistung auf dem Prüfstand.

Videoüberwachungen können als Mittel der Kriminalitätsprävention und -verfolgung verstanden werden. Sie sollen zum einen Bürgerinnen und Bürger davon abhalten, Straftaten zu begehen und gleichzeitig Beweismittel zur Aufklärung begangener Straftaten liefern. Daneben wird mit Videoüberwachungen die Verbesserung des subjektiven Sicherheitsempfindens bezweckt. Videoüberwachungen kommen dabei sowohl zu Eigensicherungszwecken öffentlicher Einrichtungen und Veranstaltungen zum Einsatz als auch zum Schutz öffentlicher Plätze und Bahnhöfe. Sie werden von staatlichen Behörden und privaten Unternehmen gleichermaßen eingesetzt. Angesichts der großen Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten ist eine Einordnung der strategischen Relevanz an dieser Stelle nicht möglich. Da sich diese wesentlich aus dem spezifischen Schutzgut ergibt, das mittels einer Videoüberwachung überwacht werden soll, ist aus verwaltungswissenschaftlicher Perspektive eine allgemeine und kontextlose Bewertung weder möglich noch zielführend. 

Mit dem Prüfkriterium der Spezifität wird ein Maß für die Einzigartigkeit des mit einer Aufgabenerfüllung verbundenen Mitteleinsatzes eingeführt. Dies setzt sich aus verschiedenen Komponenten zusammen, die den Einsatz spezialisierter Technologien oder Anlagen, spezifische Ausstattungen, Qualifikationen, Verfahrensregeln und Kompetenzen betreffen und als Auslagerungshürden gelten.

Grundsätzlich bedarf die Videoüberwachung öffentlicher Räume einer spezifisch hinreichenden Rechtsgrundlage, da mit ihr Grundrechtseingriffe einhergehen. Die Überwachung durch privatwirtschaftliche Unternehmen von öffentlich zugänglichen Räumen ist nur dann zulässig, wenn die Wahrnehmung des Hausrechts bzw. berechtigter Interessen dies erforderlich machen. In diesem Fall wird das Hausrecht oftmals auch an private Sicherheitsdienste delegiert, die sodann mit der Videoüberwachung beauftragt werden. Aber auch für öffentliche Behörden ist eine spezifische Ermächtigungsgrundlage nötig, in der die Videoüberwachung auf ihren Zweck festgelegt und sodann auf ihre Geeignetheit überprüft werden kann. Abgesehen von diesen spezifischen rechtlichen Voraussetzungen handelt es sich hierbei um eine Schutzleistung von vergleichsweise geringer Spezifität. So ist Videotechnik etwa universell einsetzbar. Spezifische Personalqualifikationen bedarf der Einsatz dieser Technik nicht; allerdings ist in jedem Fall ein Datenschutzbeauftragter zu benennen. Mit Blick auf das Kriterium der Spezifität besteht insofern nicht unmittelbar eine sachliche Notwendigkeit des Einsatzes spezifisch hochqualifizierter Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes.  

Mit dem Prüfkriterium der Legitimität wird der politikwissenschaftlichen Einsicht Rechnung getragen, dass staatliches Handeln und Entscheiden nicht allein an den Maßstäben von Effektivität und Effizienz bemessen werden sollte, sondern auch an der faktischen Akzeptanz, die es durch die verschiedenen Anspruchsgruppen erfährt.

Vor dem Hintergrund der Forderung nach mehr Sicherheit im kommunalen Raum wird das Thema der Videoüberwachung im öffentlichen Raum in Deutschland seit Beginn der 1990er Jahre öffentlich diskutiert. Erste entsprechende Gesetzgebungsprozesse folgten dann jedoch erst ab dem Jahr 2000 (Lanfer 2017, 78). Seither steht die Thematik der Videoüberwachung im Rahmen der Debatten um Kriminalität, Datenschutz und Bürgerrechte immer wieder im Fokus. Während seitens der Politik und auch von Teilen der Gesellschaft – nach dem Terroranschlag in Berlin im Jahr 2016 sprach sich eine Mehrheit von 60 Prozent für mehr Videoüberwachung öffentlicher Räume aus (Wichmann, 28.12.2016) – eine Ausweitung von Videoüberwachung gefordert wird, werfen kritische Stimmen immer wieder Fragen der rechtlichen Zulässigkeit, der Wirksamkeit und der Nebenfolgen von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum auf. In diesem Zug wird vor der Gefahr eines Missbrauchs gespeicherter Daten gewarnt und Videoüberwachungen werden als Indiz eines heraufziehenden „Überwachungsstaats“ gewertet. Nicht nur von Nichtregierungsorganisationen und Teilen der Politik, sondern auch aus den Reihen der Justiz sowie der Polizei(-gewerkschaft), die angesichts neuer Überwachungstechniken einen Stellenabbau befürchten (GDP, 2015), wird mitunter die Legitimität und die Zweckmäßigkeit von Videoüberwachungen im öffentlichen Raum in Zweifel gezogen. Ein kritischer Einwurf lautet, dass es beim Einsatz von Videoüberwachung mitunter weniger um Kriminalitätsprävention oder -aufklärung gehe, sondern die Videoüberwachung primär einem ordnungspolitischen Zweck diene, der sich im Sinne von Verdrängung gegen gesellschaftliche Randgruppen richtet (Belina 2010, S. 124). Die mit Videoüberwachungen verbundenen Eingriffe in Persönlichkeitsrechte werden angesichts der Schutzwirkungen von Videoüberwachungen zudem mitunter als nicht verhältnismäßig erachtet. Dass sich auch private Sicherheitsdienste der Videotechnik bedienen, wird in diesem Zusammenhang vergleichsweise skeptisch beäugt.

Quellen:

Wichmann, M. (28.12.2017). Mehrheit der Bürger spricht sich nach Anschlag von Berlin für mehr Polizei und Videoüberwachung aus. Abgerufen am 03.06.2019 von https://yougov.de/news/2016/12/28/mehrheit-der-burger-spricht-sich-nach-dem-anschlag/

Belina, B. (2010). Sicherheit durch Technik? Zur Videoüberwachung öffentlicher Räume. In L. Hatzelhoffer, M.  Lobeck, W.  Müller & C-C. Wiegandt (Hrsg.), E-Government und Stadtentwicklung (S. 115-128). Berlin et al: Lit.

GdP – Gewerkschaft der Polizei (2015): Videoüberwachung kann Polizisten nicht ersetzen. Presseerklärung vom 13. Juli 2015. Abgerufen am 04.06.2019 von  https://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/p50705b

Lanfer, J. (2017).  Das Politikfeld Innere Sicherheit. In D. Grunow (Hrsg.), Implementation in Politikfeldern (S. 55-99). Springer: Wiesbaden.

Während es sich bei Videoüberwachungen um eine Schutzleistung handelt, die von vergleichsweise geringer Spezifität gekennzeichnet ist, ist angesichts der großen Vielfalt an potenziellen Einsatzmöglichkeiten eine allgemeine Einordnung der strategischen Relevanz weder möglich noch zielführend. Bei der Beurteilung der Frage, ob und inwiefern private Sicherheitsdienstleister sich dieser Technik gegebenenfalls auch im öffentlichen Raum sollten bedienen dürfen, sind jedoch in jedem Fall starke Legitimitätsvorbehalte seitens der Öffentlichkeit in Rechnung zu stellen.