Die technische Perspektive zeigt anhand ausgewählter Kriterien neue technologische Trends auf und setzt sie in einen Zusammenhang mit den jeweiligen Schutzleistungen. Das Ziel ist es, mögliche und wahrscheinliche Auswirkungen auf das Angebot von Schutz abzuleiten und zu skizzieren, wie sich Dienstleistungsangebote auf dieser Basis verändern könnten. Abschließend werden einzelne technische Entwicklungen dargestellt und bewertet, die eine wesentliche Neuorientierung im untersuchten Bereich nötig machen könnten.
Sicherheits- und Kontrolldienste in öffentlichen Verkehrsmitteln können durch Sicherheitsdienstleister übernommen werden. Die Perspektive auf technische Entwicklungen in diesem Bereich muss daher verschiedene Zielvorgaben berücksichtigen: Einerseits können Innovationen dazu beitragen, die eigentlichen Kernaufgaben effektiver zu gestalten, um so den Schutzzweck im engeren Sinne bestmöglich zu unterstützen. Andererseits können Technologien dazu beitragen, die zusätzlichen „Rand-Aufgaben“, die aus dem Kontakt mit Fahrgästen entstehen (z. B. Rückfragen zur Gültigkeit von Tickets usw.), besser abzufangen und damit die Handlungsspielräume der Sicherheitsdienstleister zu erweitern. Sie dienen dann aber nur mittelbar dem eigentlichen Schutzzweck. Schließlich können neue Innovationen auch die Effizienz der zu tätigenden Leistungen steigern, unabhängig ob sie zur Kernaufgabe gehören oder nicht. Insbesondere im Kontext der nicht zur Kernaufgabe gehörenden Bereiche, die also den Sicherheitsdienstleistern „on top“ abverlangt werden, stellen sich allerdings grundlegende Fragen nach Geschäfts- und Finanzierungsmodellen.
Im Falle von Krisensituationen und Notlagen können vor Ort mit Helfer-, Alarmierungs- und Informationssystemen (als Apps oder App-Module) schnelle, ortsbezogene und individualisierte Leistungen erbracht werden – von der Erste Hilfe-Maßnahme durch Personal bis hin zu Brandevakuierungen.[1]
Mithilfe von miteinander gekoppelten Informationsmedien – wie digitalen Anzeigetafeln, Durchsagen und Apps – können Informationen koordiniert und integriert werden. Dies gilt für die Kommunikation der Sicherheitsdienstleister mit ihrem Personal sowie auch mit den involvierten Stakeholdern (je nach Schutzleistung: Bevölkerung, Passagiere etc.). Auf unterschiedlichen Informationskanälen können Zuwege abgestimmt werden sowie Lauf-, Flucht- und Rettungswege koordiniert werden.[2]
Auch können Meldesysteme zur Vernetzung von Dienstleistern oder von anderen Stakeholdern genutzt werden, um Dienstleiter bei der Erstdokumentation und Meldung zu entlasten.[3]
Automatisierte Systeme zur Auswertung der Kriminalitätsentwicklung und somit zu einer zielgerichteten operativen Steuerung von Einsatzkräften sind heute bereits State-of-the-Art.
Zur kontinuierlichen Verbesserung der Schutzleistungen können Nutzer der öffentlichen Verkehrsmittel auch zum Sicherheitsempfinden befragt werden. „Dabei wird insbesondere die Sicherheitskommunikation analysiert, da diese einen zentralen Einfluss auf die Sicherheitswahrnehmung der Reisenden hat. Die kognitiven und affektiven Handlungsmuster der Fahrgäste sollen dabei berücksichtig werden, um ein möglichst facettenreiches und genaues Verständnis für die Empfindungen der ÖPV-Nutzer zu bekommen.“[4]
Quellen:
[1] Vgl. Projekt KATRETTER (https://www.fokus.fraunhofer.de/a9568ee409eb6a9d; abgerufen am 09. Mai 2019)
[2] Willaredt (o. J.)
[3] Vgl. Labenski, H. (2017), Dreck-App – Ordnungamt kommt bei Meldungen nicht hinterher (https://www.morgenpost.de/berlin/article210609947/Dreck-App-Ordnungsamt-kommt-bei-Meldungen-nicht-hinterher.html abgerufen am 05.07.2019)
[4] Beispiel Projekt WiSiMa – Wirtschaftlichkeit von Sicherheitsmaßnahmen im öffentlichen Personenverkehr (http://www.wisima-projekt.de/index.html abgerufen am 05.07.2019)
Aufnahmen aus der Videoüberwachung können zur Beweisaufnahme bei Ordnungswidrigkeiten oder Straftaten verwendet werden. Durch die fortschreitende Entwicklung von Künstlicher Intelligenz und Big Data Analytics können zukünftig besser Verhaltensmuster von Personen erfasst und vorschauend Maßnahmen eingeleitet werden. Bei der Überwachung der Liegenschaften und Gleisanlagen kann automatische Bildauswertung eine wichtige Ergänzung zum Personaleinsatz spielen.[1] So können beispielsweise Abstellanlagen zur Graffiti-Prävention überwacht werden. Bereiche, welche nicht betreten werden dürfen oder unübersichtlich sind, können zudem mittels Identifikation von Bewegungen z. B. mithilfe von Infrarotsensoren und Lichtschranken oder mithilfe von „Smart Dust“ gesichert werden.
Videoüberwachung wird auch zukünftig das Sicherheitsempfinden im öffentlichen Raum nicht verbessern, ggf. sogar kann es den gegenteiligen Effekt haben.[2]
Quellen:
[1] Vgl. [1] Popoola, Oluwatoyin P., and Kejun Wang. „Video-based abnormal human behavior recognition—A review.“ IEEE Transactions on Systems, Man, and Cybernetics, Part C (Applications and Reviews) 42.6 (2012): 865-878. Ein Projekt-Beispiel ist: SMARAGD (https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/DG/mfund-projekte/Smaragd.html?nn=326002; abgerufen am 09. Mai 2019)
[2] Vgl. Kees, P.: “Videoüberwachung im öffentlichen Raum” (https://www.algoropticon.de/Dateien/Studienarbeit_Videoüberwachung.pdf abgerufen am 05.07.2019); Humanistische Union: „Evaluation der 24-Stunden-Videoaufzeichnung in U-Bahnstationen der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) – Zwischenbericht“ (http://www.humanistische-union.de/typo3/ext/naw_securedl/secure.php?u=0&file=uploads/media/04_Evaluationsbericht.pdf&t=1562425901&hash=b53fae88dde6c2f5b06a71298cdcf540; beide abgerufen am 12. Mai 2019).
Bei der Frage nach dem passenden Ausrüstungsmaterial steht einerseits die Umsetzung des Schutzzwecks im Fokus und andererseits der Schutz der Sicherheitsdienstleister selbst bei ihrer Tätigkeit sowie die auftragsspezifischen Anforderungen. Eine Integration des Personals in die Vernetzung könnte sich zukünftig über eine noch weitergehende Nutzung von Bodycams (Pervasive Wearables, smarte Brillen)[1] entwickeln, die sowohl der Sicherheit und Steuerung der Personen als auch der Dokumentation von Einsätzen dienen.[2] Ergänzend kann zukünftig bei besonders beanspruchenden Tätigkeiten ein integriertes Psycho-Monitoring mit ggf. begleitender psychologischer Betreuung sinnvoll sein.
Regelmäßige e-Trainings über Virtual Reality (VR)- oder Augmented Reality (AR)-Werkzeuge sind hierbei eine wichtige prophylaktische als auch nachträgliche Ergänzung und können z. B. zusätzlich mit Übersetzungsfunktionalitäten (babelfish etc.) ausgestattet werden. Mit ihnen können Gefahrensituationen simuliert (VR) oder inhaltlich begleitet (AR) werden. Sowohl Psycho-Monitoring als auch e-Trainings können über das Arbeitsequipment direkt mit der Tätigkeit rückgekoppelt werden, etwa durch spezielle Apps auf dem Diensthandy oder über Wearables und smarte Brillen.[3]
Quellen:
[1] Vgl. Carmen Molitor: „Martin Krzywdzinski: Bei den Wearables geht es noch ums Ausprobieren“; in: Magazin Mitbestimmung (https://www.magazin-mitbestimmung.de/artikel/Martin+Krzywdzinski%3A+„Bei+den+Wearables+geht+es+noch+ums+Ausprobieren“@7295?issue=7294; abgerufen am 09. Mai 2019)
[2] Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Stabstelle Flüchtlingspolitik; United Nations Children’s Fund (UNICEF): „Mindeststandards zum Schutz von ge üchteten Menschen in Flüchtlingsunterkünfte“, S. 29, Oktober 2018 (https://www.bmfsfj.de/blob/117472/bc24218511eaa3327fda2f2e8890bb79/mindeststandards-zum-schutz-von-gefluechteten-menschen-in-fluechtlingsunterkuenften-data.pdf; zugegriffen am 09. Mai 2019)
[3] Beispiel Projekt Smart Wearables (https://www.fokus.fraunhofer.de/6fba9fef480c985b, abgerufen 09. Mai 2019)
Disruptive Entwicklungen sind in fast allen Bereichen zu erwarten, da Personal von administrativen Aufgaben entlastet werden muss. Der öffentliche Nahverkehr nimmt stetig zu. Statt der Kontrolle von Fahrtickets wird die Digital ID Einzug erhalten. Auch wird der gezielte Einsatz von Sicherheitspersonal nach vorangegangenen automatisierten Auswertungen der Videoüberwachung wahrscheinlicher werden. Die schnellen Entwicklungen etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz und Big Data Analytics lassen im Bereich der Behaviour Detection, ggf. in Verbindung mit prädiktiven Auswertungen auf Basis vorhandener Personendaten, ganz neue Vorgehensweisen der Personensteuerung als möglich erscheinen.
Sicherheits- und Kontrolldienste in öffentlichen Verkehrsmitteln werden von einem modernen, schnellen und zielgerichteten Informationsmanagement, für das technische Systeme (Videoüberwachung) und physische Kontrollgänge von Sicherheitsdienstleistern wichtige Parameter sind, geprägt. Die neuen Kommunikationstechnologien haben das Potenzial beide Seiten – sozusagen „technische hardskills“ wie Überwachung und Kontrolle ebenso wie „technische Softskills“ wie Vernetzung und Kommunikation – zusammenzubringen. So können sie dazu beitragen, einen Teil der anfallenden „Rand-Aufgaben“ der Sicherheitsdienstleister gleichsam zurück zu delegieren und die Effizienz der eigentlichen Kernaufgaben zu steigern. Auf der anderen Seite tragen z. B. Detektionslösungen dazu bei, frühzeitig Fehlentwicklungen konkret zu erkennen und nachweisbar zu machen. Es ist zu erwarten, dass insbesondere die Entwicklungen im Bereich der vernetzten künstlichen Intelligenz den Faktor Mensch noch stärker ergänzen oder sogar ersetzen werden.